Die Coronapandemie geht mit einem unvergleichbaren medialen Weltereignis einher. Nie war das öffentliche Interesse an wissenschaftlichen Erkenntnissen größer und nie wurden auf vergleichbare Weise Handlungsempfehlungen aus wissenschaftlichen Erkenntnissen gewonnen. Durch das enorme öffentliche Interesse haben sich Schwierigkeiten und Chancen in der Entwicklung des Wissenschaftsjournalismus konkretisiert.
WissenschaftsjournalistInnen stehen im Informationsfluss zwischen Forschung und Öffentlichkeit. Um ihre Rolle zu verstehen und die Qualität des Wissenschaftsjournalismus zu beurteilen, muss auch die Wissenschaftskommunikation (generelle Kommunikation der Forschenden) insgesamt und die Öffentlichkeit als Auditorium beleuchtet werden.
Die Öffentlichkeit als fachfremdes Auditorium
Bei der Betrachtung der Öffentlichkeit wird dabei im Folgenden davon ausgegangen, dass diese selbst fachfremd ist. Die erste Frage, der nachgegangen werden muss, ist: Wie funktioniert eigentlich Meinungsbildung? Hier muss man zunächst zwischen epistemischer und psychologischer Sicherheit bzgl. der eigenen Meinung unterscheiden. Die epistemische Sicherheit erlangt man durch belastbare wissenschaftliche Evidenz. Die psychologische Sicherheit ist dagegen ist der Glaube, etwas sicher zu wissen. Dass der Unterschied zwischen beiden eklatant ist, ist vielen Menschen leider nicht bewusst. Natürlich spielen individuelle Erfahrungen mit Wissenschaft eine große Rolle, aber von größerer Tragweite ist die mediale Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte.
Medienkompetenz in einer veränderten medialen Umgebung
Die Qualitätsmedien wurden zugunsten der sozialen Medien immer weiter verdrängt. Dies bringt den Effekt mit sich, dass mittlerweile auch Quellen wie z. B. Facebook, Youtube oder Messenger-Chatgruppen zur Informationssuche etabliert sind. Natürlich finden sich auch in sozialen Netzwerken qualitativ hochwertige wissenschaftliche Informationsquellen, jedoch sind diese vergleichsweise rar und treten fast immer in Form einer ergänzenden Funktion auf. Etablierte Institutionen oder WissenschaftlerInnen verbreiten Informationen auch aber nicht ausschließlich über Twitter oder Facebook. Es ersetzt ihre Publikationen in Fachjournalen nicht.
Sind Menschen also auf welchen Wegen auch immer zu Informationen gelangt, dann kann das ihr künftiges Handeln zu einer bestimmten Fragestellung beeinflussen (Decision Value), es kann ihr Handeln rechtfertigen (Reputational Value) und/oder die Informationen werden dazu genutzt andere zu überzeugen (Influence Value). Die Tragweite der gewonnen Informationen wurde während des zweiten Pandemiejahres 2021 insbesondere in der Impf-Frage sichtbar.
Leider ist der Weg Information suchen, Information beurteilen, Entscheidung treffen, handeln nicht so linear wie er scheint. Im zeitlichen Ablauf der Pandemie hat sich etwa ab Spätsommer 2020 eine relativ große Verunsicherung in der Bevölkerung bzgl. der Beurteilung der dargebotenen Informationen gezeigt.
Die Rolle der öffentlichen Debatte (insbesondere im Wahljahr 2021)
Im Vergleich zur Zeit des ersten Lockdowns, in der eigentlich nur eine einzige Information – „Vermeiden Sie Kontakte, bleiben Sie zu Hause“ – transportiert wurde, war die Situation mit Ausblick auf die kommende kalte Jahreszeit erheblich komplizierter zu erklären. Zwischen Fragestellungen des Lüftens, des Maske-Tragens, des Hände-Schüttelns, des Abstand-Haltens, und der gesamten Öffnungsdebatte haben viele Menschen ihr Vertrauen in die Kommunikation verloren und den Diskurs als ein Zer-reden empfunden. Wenn die Kommunikation nicht nachvollzogen werden kann, entsteht Verunsicherung.
Ein weiterer Punkt, der verunsichert, ist die sich ändernde Sachlage. Anfänglich wurde die Verdopplungszeit als Kennwert eingeführt, bei höheren Fallzahlen dann die Inzidenz und schließlich war der R-Wert das relevante Maß für die Infektionstätigkeit. Zusätzlich lieferte die Wissenschaft mit rasender Geschwindigkeit eine große Menge an Forschungsergebnissen, was das mediale Interesse weiter befeuerte. Im Monat März 2020 erschienen über 600.000 Meldungen zu den Schlüsselwörtern Corona, SARS-CoV-2 und COVID-19 in der deutschen Presse. Dazu zählen auch Falschmeldungen. Bereits im Sommer 2020 sprach die WHO von einer Infodemie als Bezeichnung für das Phänomen, dass sich Falschinformationen zu SARS-CoV-2 on- und offline schneller und weiter verbreiteten als evidenzbasiertes Wissen. Falschinformationen kursierten auch zum Umgang mit der Pandemie in anderen Ländern. Der sog. Schwedische Sonderweg wurde oft so dargestellt, als würde Schweden gänzlich auf Maßnahmen zur Eindämmung des Virus verzichten.
Die Rolle des Journalismus und die Notwendigkeit des Wissenschaftsjournalismus
Ein großes Problem in der Kommunikation während der gesamten Pandemie ist die spärliche Ausstattung der Redaktionen mit WissenschaftsjournalistInnen. 2017 betrug der Anteil am gesamten Journalismus 1–2 %. Übernehmen fachfremde Ressorts die Funktion von WissenschaftsjournalistInnen, birgt das ein hohes Potential an Fehlinformationen und falschen Einschätzungen. Im schlimmsten Fall werden Forschungsergebnisse falsch beurteilt. Wer die üblichen Methoden und Qualitätsstandards nicht kennt, der kann sich auch durch schlechte Forschung beeindrucken lassen. Es ist elementar wichtig, dass (Wissenschafts-) JournalistInnen die Reputation der WissenschaftlerInnen kennen und beurteilen können, ob Ergebnisse verlässlich sind. ExpertInnen sollten nach wissenschaftlichen Kriterien ausgewählt werden und nicht nach Sympathie oder medialer Wirkung.
Weiter ist es wichtig, dass Informationen klar und unmissverständlich, aber nicht zu stark vereinfacht transportiert werden. Eine zu vereinfachte Darstellung führt zu einem Easiness-Effekt, der bewirkt, dass Laien sich in der Beurteilung von Sachverhalten überschätzen, wenn diese zu stark vereinfach dargestellt werden. Eine ähnliche kognitive Verzerrung beschreibt der Dunning-Kruger-Effekt. Er drückt die Unfähigkeit aus, seine eigene Inkompetenz zu erkennen. Wie oft haben wir alle den Satz „Sind wir nicht alle kleine Virologen?“ gehört. Nein, sind wir eben nicht.
Als problematisch hat es sich auch immer wieder erwiesen, wenn zu wenig auf die Entwicklung der Informationslage eingegangen wurde. Weiten Teilen der Bevölkerung ist nicht klar, wie lange wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn dauert. Und nicht jeder Informations-Baustein sollte als breaking news präsentiert werden. Überhaupt ist das Verkürzen von Informationen problematisch zu sehen und wurde von WissenschaftlerInnen im Fokus der Öffentlichkeit immer wieder kritisiert. Auch beim Anstellen von Vergleichen ist Vorsicht geboten. Wer z. B. die Inzidenzen von verschiedenen Ländern miteinander vergleicht, sollte auch auf demographische Unterschiede und Gemeinsamkeiten hinweisen.
Um die Neutralität der Wissenschaft in der öffentlichen Wahrnehmung zu bewahren, ist es dringend angeraten, dem Wissenschaftsjournalismus seinen berechtigten Platz einzuräumen, denn die Pandemie ist nicht das letzte Problem mit engem wissenschaftlichem Bezug, was vor einer breiten Öffentlichkeit dargestellt und medial begleitet werden muss.
Literatur:
- M. Schäfer, How Changing Media Structures are Affecting Science News Coverage, The Oxford Handbook of the Science of Science Communication, Kapitel 4, Oxford University Press 2017.
- V. Stollorz, Herausforderungen für den Journalismus über Wissenschaft in der Coronapandemie – erste Beobachtungen zu einem Weltereignis, Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, 1: 70-76, 2021.
- G. Ruhrmann, D. Daube, Die Rolle der Medien in der COVID-19-Pandemie, Infektionen und Gesellschaft (Akademie der Wissenschaften in Hamburg, A. Lohse, Hrsg.), S. 119-134, 2021.