Hexagonales Wasser – Humbug mit Heilversprechen

Die Erzählung vom Wasser mit Gedächtnis trägt viele verschiedene Titel und ist schon einige Jahrzehnte alt. Auch das sog. hexagonale Wasser ist ein solch besonderes Wasser. Angeblich ein Wundermittel, das durch seine spezielle Struktur Informationen speichern kann und heilend wirkt. Sogar von einem neuen – vierten Aggregatzustand ist die Rede.

Wasser in flüssigem Aggregatzustand
Wasser in flüssigem Aggregatzustand (Quelle: pexels)

Den Begriffen Polywasser, hexagonales Wasser, strukturiertes Wasser, belebtes Wasser, 4th Phase Water, Exclusion Zone Water (EZ-Wasser), H9-Wasser und vielen anderen ist eines gemein: Sie beschreiben Wasser im flüssigen Zustand, das durch eine definierte Anordnung der Wassermoleküle eine bestimmte Struktur einnimmt. Innerhalb dieser Struktur soll es dann möglich sein, Informationen oder Energie zu speichern. Die These einer definierten Struktur in Flüssigkeiten ist einigermaßen verblüffend, denn eine solche Fernordnung der Moleküle ist schlecht mit der Dynamik zu vereinbaren, die in diesem Aggregatzustand vorherrscht.

Ein Potpourri heilsamer Wirkungen

Dass also gar wundersame Kräfte am Werk sein müssen, um diesen Verband der Wasserteilchen zusammenzuhalten, scheint den VertreterInnen des strukturierten Wassers klar zu sein, denn es wird geradezu als magisch angepriesen: Als „Der heilige Gral der Gesundheit“ [1], als eines der „beeindruckendsten wissenschaftlichen Phänomene der letzten Jahre“ [2], „Ohne EZ-Wasser kein Leben.“ [3]. „Die besondere hexagonale Struktur bedingt, dass sich selbst Öle im Wasser lösen.“ [4], das hexagonale Wasser „reinigt sich von selbst“ [5].

„Studien zufolge hat sich hexagonales Wasser als wirksam bei der Vorbeugung und Behandlung von Krebs, Diabetes, Alterung und AIDS erwiesen.“ [6] „Hexagonales Wasser ist die natürliche Form des Wassers wie wir es in Gebirgsbächen und heiligen Quellen finden. Die falsche Behandlung des Menschen führt aber dazu, dass unser Trinkwasser aus der Leitung oder aus dem Supermarkt nicht in hexagonaler Struktur vorliegt, sondern die Moleküle rechtwinklig angeordnet sind.“ [7]

Um die Bedeutung dieses speziellen Wassers sogar in noch globalere Zusammenhänge zu setzen, wird sogar die Frage aufgeworfen, ob „ewiges Eis schmilzt, um dem globalen Wasserkreislauf mehr hexagonale Strukturen zur Verfügung zu stellen?“ [8]. Große Versprechungen. Das wirft natürlich Fragen auf: Woher kommt das hexagonale Wasser, wie kann man es herstellen? Und worin genau besteht der Unterschied zu „normalem“ Wasser?

Strukturmodell des hexagonalen Wassers

Die hexagonale Struktur soll es also sein, die das Wasser so besonders macht. Das postulierte Strukturmodell geht dabei hauptsächlich zurück auf den amerikanischen Wissenschaftler Gerald Pollack [9]. Er untersucht die Wechselwirkung von sehr dünnen Wasserschichten an unterschiedlichen Oberflächen. Aus diesen Erkenntnissen leitet er die Existenz einer neuen Wasserphase ab, die er die vierte Phase (neben den drei allgemein bekannten Phasen fest, flüssig und gasförmig) oder „Exclusion Zone Water“ nennt. Diese Phase soll geordnet in hexagonalen Schichten vorliegen.

(a): Schematische Darstellung des Wassermonomers und Berechnung der Summenformel und Ladung; (b): Darstellung der Stapelung der Wasserschichten. (Quelle: [9], eigene Abbildung)

Aus der abgebildeten Struktur (linker Teil der Abbildung, (a)) ermittelt Pollack eine neue Summenformel für das Wasser-Monomer, die dann nicht mehr H2O sondern H3O2 wäre. Jedes dieser Sechsringe bekäme dann eine negative Ladung zugeordnet. Die Hexagone können zu Schichten kondensiert und übereinandergestapelt werden (rechter Teil der Abbildung, (b)) und so. die sog. Exclusion Zone (EZ, dt. Ausschlusszone) bilden. Pollack beschreibt diese Zone als einen Bereich, der absolut frei von im restlichen Wasser gelösten Bestandteilen vorliegt. In der EZ, einer etwa 100-200 μm breiten Zone, dominieren die Wechselwirkungen der Wassermoleküle mit dem Trägermaterial sowie die Wechselwirkungen innerhalb einer Schicht und zwischen den einzelnen Schichten.

Da der Bereich der EZ keine weiteren Bestandteile als H3O2 enthält, würde er eine bislang ungesehen große Anhäufung von negativer Ladung darstellen, denn jedes Hexagon ist wie beschrieben negativ geladen. Diese Ladung wird nicht etwa, wie man annehmen könnte, durch die aus H2O formal übrig gebliebenen H+-Ionen ausgeglichen, sondern – und spätestens jetzt wird es esoterisch – liegt als Elektronenplasma delokalisiert im oder um das Netz vor. Sozusagen als Elektronenspirit.

Die Wasserjünger sehen darin die Lösung für Übersäuerung im Körper, freie Radikale, krankmachende Frequenzen, elektromagnetische Wellen und Signale und sogar negative Gedanken sollen darin aufgenommen werden.

Je nach Interpretation des Pollack`schen Modells werden diese negativen Einflüsse dann direkt im hexagonalen Wasser „neutralisiert“, oder es wird ein positiv geladenes Restwasser herbeigeredet, das alles Schädliche löst und wegspült. Aus Pollack`s ohnehin schon zweifelhaftem Modell einer Wasserphase, die in sehr kleinen Bereichen an Grenzflächen vorliegen soll, wird ohne jegliche weitere Erklärung ein Wasser, dessen gesamte Struktur als hexagonale Netze vorliegen soll.

Auch in der Frage, wie es sich mit der Energie des strukturierten Wassers verhält, werden unterschiedliche Ansätze vertreten. Während die einen gehen davon ausgehen, dass das mehr Ordnung in einem System mit einer Energieerniedrigung einhergeht, gehen andere davon aus, dass das hexagonale Wasser wertvoller und damit energiereicher sein muss.

Wunderwasser selbst herstellen?

In einem Punkt sind sie sich jedoch alle wieder einig: Ein Allheilmittel wie das hexagonale Wasser muss jedem zugänglich sein. Und darum bemühen sie sich redlich. Auf dem Markt sind sowohl fertige Produkte wie Sprays oder Gele, als auch eine beträchtliche Reihe von technischen Geräten zum Herstellen von strukturiertem Wasser erhältlich. Vom einfachen Verwirbler bis zur Anlage für Mehrfamilienhäuser wird alles angeboten.

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Überblick über Produkte mit oder zur Herstellung von hexagonalem Wasser.

Auch einige Erholungszentren werben mit speziell angefertigten Ruhesesseln, die von hexagonalem Wasser umflossen werden. Für etwa 50 € pro halbe Stunde kann man sich in den sog. Recreation Lounges [10] entspannen. Deutschlandweit an 15 Standorten, Heilversprechen inklusive.

Die Werbung mit „wissenschaftlichen“ Belegen ist irreführend

Die Werbung für Produkte und Anwendungen mit hexagonalem Wasser spricht immer wieder von wissenschaftlichen Untersuchungen und Studien und impliziert, dass hier neue Erkenntnisse aus der Forschung vorlägen.

Dies betrifft zum einen die Verwendung von wissenschaftlichen Fachbegriffen. So werden z. B. Entropie, Plasma, Wellenlänge, Feldharmonisierung ohne Erklärung verwendet, um den Anschein eines wissenschaftlichen Kontextes zu erzeugen. So wird z. B. postuliert, das hexagonale Wasser habe eine niedrigere Frequenz als normales Leitungswasser [11]. Was soll die erwähnte Frequenz bedeuten? Sind damit die Eigenschwingungen der O-H-Bindung gemeint? Oder emittiert das Wasser gar Strahlung?

An anderer Stelle [12] wird behauptet, durch die Strukturierung verbessere sich der „Redoxwert“ des Wassers. Einen solchen Wert gibt es nicht. Gemeint ist wahrscheinlich das Standardpotential, welches für ein sog. Redoxpaar (z. B. Cu/Cu2+) angegeben wird. Im Zusammenhang mit Sauerstoff ist das Redoxpaar O2-/(1/2) O2 relevant. Die Reaktion ist Teil unserer Zellatmung. Veratmet wird jedoch der Luftsauerstoff (O2), und nicht der Sauerstoff aus dem Wasser (O2-). Soll der verbesserte „Redoxwert“ im hexagonalen Wasser etwa implizieren, dass sich das Wasser am Atmungsprozess beteiligt? Das wäre natürlich wirklich phänomenal.

Auch die falsche Verwendung von Bildern oder Abbildungen ist irreführend. So werden zur Illustration und zum Stützen der Behauptung, es gäbe eine hexagonale Wasserstruktur verblüffend oft Fotos von Eiskristallen gezeigt. Damit wird der Wechsel zu einem anderen Aggregatzustand schlicht unterschlagen. Und es wird impliziert, dass flüssiges Wasser die gleichen Eigenschaften besitzt wie festes Eis.

Aufnahme eines Eiskristalls mit sechszähliger Dreachse (hexagonale Symmetrie).
Aufnahme eines Eiskristalls mit sechszähliger Drehachse (hexagonale Symmetrie).(Quelle: Gerd Altmann, pixabay)

In manchen Fällen wird fundierte wissenschaftliche Literatur angeführt, die das eigentliche Thema jedoch nur geringfügig tangiert und keinesfalls als wissenschaftlicher Beleg für die eigenen Thesen gilt. Dabei kommen Begriffe wie „Wasserstoffbrücken“, „Cluster“ oder „Anomalie von Wasser“ zwar im Titel der Publikationen vor, der eigentliche Inhalt spricht aber in keinem der Fälle [13-17] von hexagonal geschichteten Wasserstrukturen, vielmehr wird der Begriff nicht einmal erwähnt.

Die wissenschaftliche Grundlage und aktuelle Wasserforschung: Was ist wirklich erforscht?

Einige besondere Eigenschaften hat unser Wasser tatsächlich zu bieten: Viele Stoffe sind in Wasser sehr gut löslich, Wasser hat einen vergleichsweise (z. B. mit EtOH) hohen Schmelz- und Siedepunkt. Die temperaturabhängige Änderung der Viskosität ist spannend, Wasser leitet den elektrischen Strom auch ohne zugesetzte Ladungsträger (Salze) und hat seine maximale Dichte nicht wie andere Stoffe am Gefrierpunkt, also bei 0 °C, sondern bei 4 °C. Deshalb ist Eis leichter als Wasser und Seen gefrieren von oben nach unten.

Das sind zwar im Vergleich zu anderen Flüssigkeiten außergewöhnliche Anomalitäten, doch herrscht wissenschaftlich keineswegs Unklarheit darüber, wieso Wasser sich so verhält. Die Temperaturabhängigkeit der Dichte oder das Verhalten des Schmelzpunktes z. B. stehen im Einklang mit der Tatsache, dass Wasser (H2O) auch zu einem kleinen Anteil auch die schwereren Wasserstoff-Isotope Deuterium (D) und Tritium (T) enthält, die die Werte beeinflussen (Smp. (D2O): 3,8 °C, Smp. (T2O): 4,5 °C). [18]

In aller Munde sind immer wieder die berühmten Wasserstoffbrücken (H-Brücken). Diese beruhen auf der Wechselwirkung zwischen dem partiell negativ geladenen Sauerstoff und dem partiell positiv geladenen Wasserstoff der H2O-Moleküle.

(a): Darstellung des Wassermoleküls; (b): Ilustration von Wasserstoffbrückenbindungen zwischen Wassermolekülen (Quelle: [19], eigene Abbildung)

Es ist wichtig, zu verstehen, dass es sich bei den Wasserstoff-Brücken nicht um „echte“ Bindungen handelt, sondern um eine recht schwache Wechselwirkung, nicht zu vergleichen mit der Bindungsstärke einer kovalenten Bindung, wie sie zwischen Sauerstoff und Wasserstoff innerhalb eines Moleküls existiert. H-Brücken machen etwa 10 % eines solchen Wertes aus [19].

Die Wechselwirkungen kommen nicht nur in Wasser vor, sondern auch in Alkoholen, Aminen und manchen Säuren (z. B. Essigsäure CH3COOH). Sie sind verantwortlich dafür, dass unsere DNA als Doppelhelix und nicht als Einzelstrang vorliegt und bedingen die räumliche Struktur von Proteinen. H-Brücken treten nicht nur zwischen Sauerstoff und Wasserstoff auf, sondern z. B. auch zwischen Molekülen mit –NH- oder –SH-Gruppen. Sie können Strukturen stabilisieren, sind aber niemals ohne zusätzliche Bindungen oder Wechselwirkungen strukturbestimmend.

Seit vielen Jahren existieren Untersuchungen über die Auswirkungen von H-Brücken auf den Zusammenhalt von Wassermolekülen. Für derartige Untersuchungen braucht man eine Methode, die sehr kurze Zeitintervalle betrachten kann, weil H-Brücken sich sehr schnell bilden und wieder lösen.

Das kann man sich so vorstellen, als wolle man bei wenig Licht ein Foto machen. Die Belichtungszeit ist dann entsprechend lange und sowohl Objekt als auch Kamera dürfen sich nicht bewegen, damit das Bild scharf wird. Bewegung führt zu unscharfen Bildern. Wasserstoffbrücken sind sehr dynamisch. Sie existieren nur einige Pikosekunden (1 ps = 10-12 s). Das ist eine ungeheuer kleine Zeitspanne; der millionste Teil einer Millionstel Sekunde, um genau zu sein. Danach erfolgt die Bildung einer neuen Wasserstoffbrücke.

Eine Methode zur Untersuchung von derart schnellen Dynamiken ist die Schwingungs- Rotations-Tunnel-Spektroskopie im fernen Infrarotbereich (FIR-VRT). Damit lassen sich tatsächlich kleine Wassercluster beobachten [14, 15, 20]. Quantenchemische Berechnungen (ab-initio- und DFT-Methoden) liefern Aussagen über die thermodynamische Stabilität dieser Cluster. Die Rechnungen bestätigen die experimentell ermittelten Cluster und machen Voraussagen zur Stabilität von größeren Oligomeren, die mittels Spektroskopie nicht gefunden wurden. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass für jedes Oligomer mehrere Cluster denkbar sind, die sich energetisch geringfügig voneinander unterscheiden [20, 21].

Darstellung der berechneten Strukturisomere des Wasserhexamers (Quelle: [15])

Für das Hexamer wurden fünf Isomere berechnet, im Energie-Ranking liegt der Ring (die strukturelle Einheit der hexagonalen Schichten aus Pollack`s Strukturmodell) an vorletzter Stelle. Das Auftreten des Rings wurde einzig bei sehr speziellen Bedingungen, nämlich in flüssigem Helium (unterhalb von -269 °C) beobachtet [22]. Größere Verbände aus Wassermolekülen sind nur in Clathrathydraten bekannt.

Kritik an Pollack`s Strukturmodell

Das wissenschaftliche Interesse von Wasser an Grenzflächen ist groß und wird wie beschrieben mit modernen spektroskopischen Methoden untersucht [23-25]: Moleküldynamiksimulationen ergänzen die experimentell gewonnenen Erkenntnisse [26]. Keine dieser Erkenntnisse ist mit Pollack`s Modell vereinbar.

In der Tat gibt es einige naheliegende Punkte, die das Strukturmodell sehr unwahrscheinlich machen:

  • Die Ladung der Hexagone (und damit der EZ)

Eine Anhäufung von gleichnamiger Ladung ist irrsinnig und hier zudem ein Widerspruch in sich selbst. Denn einerseits ist die Anziehung von negativer Ladung (des O-Atoms) und positiver Ladung (des H-Atoms) die Voraussetzung für die Bildung der H-Brücken, und damit des ganzen Netzwerks. Andererseits soll die gleiche Anziehung zwischen der negativen Ladung des Netzes und der restlichen H+-Ionen nicht stattfinden?

  • Die Planarität der hexagonalen Netze

Strukturgebendes Merkmal aller untersuchter Wasserverbindungen, ob in kleineren Clustern oder in großen Netzwerken wie sie in Eis gefunden werden, ist immer die tetraedrische Koordination des Sauerstoffatoms (vgl. VSEPR-Modell). Schon die Existenz eines einzigen planaren Rings ist thermodynamisch sehr ungünstig. Das Vorliegen von planaren Wasserschichten ist im flüssigen wie im festen Zustand nicht plausibel.

  • Die Isomerie von Oligomeren

Nach Pauling existieren für die Anordnung von N Wassermolekülen theoretisch (3/2)N Isomere.

Ein hochsymmetrisches Netzwerk aus Millionen von Molekülen mit ist also denkbar unwahrscheinlich.

  • Die Lebensdauer der H-Brücken

Findet in Pollack`s Darstellung leider nicht einmal Erwähnung und wird schlicht ausgeblendet.

  • Die Anzahl der Bindungen und H-Brücken

In allen bekannten Strukturen ist jedes O-Atom über kovalente Bindungen mit zwei H-Atomen verknüpft. Zusätzlich ist jedes O-Atom Akzeptor und Donor einer H-Brücke. Diese Bindungssituation geht mit der tetraedrischen Koordination des Sauerstoffs einher. In Pollack`s Modell werden drei Bindungen zu H-Atomen in einer Ebene mit dem O-Atom und eine H-Brücke zur nächsten Ebene postuliert.

Trotz aller Kritik sollte festgehalten werden, dass sich Pollack`s Ausführungen auf die Grenzfläche, die Exclusion Zone, bezieht. Diese umfasst nach seinen Angaben wenige hundert Mikrometer, also einige zehntel Millimeter. Das Modell ist also keineswegs dazu geeignet auf größere Wassermengen übertragen zu werden. Trotzdem ist Pollack regelmäßig Gastredner auf Kongressen und Symposien von Vereinigungen der Alternativmedizin und alternativer Wasserforschung (z. B. Drei-Länder-Wasser-Symposium der DGEIM, 12.11.2013, New Horizons in Water Science – Homeopathy New Evidence, 13. – 14.07.2018, INK Umweltkongress 29. – 30. 3. 2019). In seinen Vorträgen erklärt er sein Strukturmodell und es wird auf traurige Weise deutlich, wie sehr grundlegende Prinzipien der Strukturchemie missachtet werden, weil er offensichtlich keine Ahnung von deren Kenntnis hat (z. B. https://www.youtube.com/watch?v=7SO55sRzzQo . Minute 33-42). Ihm scheint nicht klar zu sein, dass Strukturmodelle auf Basis von gemessenen oder berechneten Daten erstellt werden. Dazu gehören auch die Angaben von Kennwerten wie Bindungsabstände, Bindungswinkel und die Beschreibung der chemischen und geometrischen Umgebung der an der Struktur beteiligten Atome. Er hingegen entwickelt sein Strukturmodell ausgehend von einer Struktur von Eis, die er im Übrigen auch noch falsch verstanden hat. Messungen oder Berechnungen anhand eines simulierten Strukturmodells hat er nicht angefertigt. Das ist ein bisschen wenig in Anbetracht der Behauptung, dass das hexagonale Wasser den vierten Aggregatzustand darstellen soll.

Doch damit nicht genug. Die Behauptungen zu kommerziell vermarktetem hexagonalem Wasser gehen noch viel weiter.

Kritik an hexagonalem Wasser und dessen Herstellung

Mittels Verwirblern, Steinen oder energetisierten Glasscheiben soll es möglich sein, das gesamte Wasser zu strukturieren. Es ist nicht immer schlecht, wenn Menschen an Dinge glauben, die sich der wissenschaftlichen Lehrmeinung entziehen. Aber unter dem Deckmantel von wissenschaftlicher Evidenz darf das nicht geschehen. Die Werbeversprechen für hexagonales Wasser sind wissenschaftlich haltlos und irreführend. Laut Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) ist das sogar gesetzlich verboten.


Literatur:

[1]: https://www.youtube.com/watch?v=B98lmqQHZOU

[2]: https://schoepferinsel.com/hexagonales-wasser-wasserwirbler/

[3]: https://www.brain-effect.com/magazin/ez-wasser

[4]: https://www.biotikon.de/Hexagonales-Wasser.html?msclkid=36801465fedd1c818abc77f9947c2c58&utm_source=bing&utm_medium=cpc&utm_campaign=DE%3A%20Produkte%20(Search)&utm_term=hexagonales%20wasser&utm_content=Hexagonales%20Wasser%20stabilisiert

[5]: https://www.neuro-programmer.de/ez-wasser/

[6]: https://www.aquawissen.de/hexagonales-wasser/

[7]: https://www.sundt.de/blogs/magazin/hexagonales-wasser-herstellen?_pos=1&_sid=1166d5dea&_ss=r

[8]: https://www.hexagonal.com/fluesse-hexagonal-strukturieren/

[9]: G. H. Pollack: Wasser, viel mehr als H2O, VAK Verlags GmbH, Kirchzarten 2014.

[10]: https://recreationlounge.de/

[11]: https://www.hexagonal.com/hexagonales-vs-energetisiertes-wasser/ (aufgerufen am 11.01.2022)

[12]: https://misterwater.eu/hexagonales-wasser-aus-dem-alchimator/?sm-p=954094485

[13]: A. Geiger et al.,Molekulare Eigenschaften und Funktion des Wassers , UniReport – Berichte aus der Forschung der Universität Dortmund, 37: 48-50, 2004.

[14]: F. Keutsch, R. Saykally, Water clusters: Untangling the mysteries of the liquid, one molecule at a time, Proc. Natl. Acad. Sci., 98:10533-10540, 2001.

[15]: R. Ludwig, Wasser: von Clustern in die Flüssigkeit, Angew. Chem., 113: 1856-1876, 2001.

[16]: R. Ludwig, D. Paschek, Wasser: Anomalien und Rätsel, Chem. Unserer Zeit, 39: 164-175, 2005.

[17]: K. Fumino et al., Wasserstoffbrücken in protischen ionischen Flüssigkeiten – Ähnlichkeiten mit Wasser, Angew. Chem., 121: 3230-3233, 2009.

[18]: K. Roth, H2O – Jo mei!, Chem. Unserer Zeit, 47: 108-121, 2013.

[19]: W. Mäntele, Elektrosmog und Ökoboom, Ein naturwissenschaftlicher Blick auf populäres Halbwissen, Springer Verlag, Berlin 2021.

[20]: K. Liu et al., Water Clusters, Science, 271(5251): 929-933, 1996.

[21]: J. Kim, K. S. Kim, Structures, binding energies and spectra of isoenergetic water hexamer clusters: Extensive ab initio studies, J. Chem. Phys., 109: 5886-5895, 1998.

[22] K. Nauta, R. E. Miller, Formation of cyclic water hexamer in liquid helium: The smallest piece of ice, Science, 287: 293-295, 2000.

[23]: J. Penfold, The structure of the surface of pure liquids, Rep. Prog. Phys., 64: 777-814, 2001.

[24]: G. L. Richmond, Molecular bonding and interactions at aqueous surfaces as probed by vibrational sum frequency spectroscopy, Chem. Rev., 102: 2693-2724, 2002.

[25]: K. R. Wilson et al., Investigations of volatile liquid surfaces by synchrotron X-ray spectroscopy of liquid microjets, Rev. Sci. Instr., 75: 725-736, 2004.

[26]: I. F. W. Kuo, C. J. Mundy, An Ab intitio molecular dynamics study of an aqueous liquid-vapor interface, Science, 303: 658-660, 2004.

Wie kann man verlässliche wissenschaftliche Informationen erkennen? Eine Handlungsempfehlung

Information von Desinformation zu unterscheiden, ist nicht immer trivial. Dieser Beitrag gibt einen Überblick darüber, was jede(r) tun kann, um mehr Sicherheit bei der Einordnung von Informationen zu erlangen.

Nicht jeder Falschinformation liegt eine böse Absicht zugrunde. Gerade bei wissenschaftlichen Themen, die in den Bereichen Life Sciences, Gesundheit und Klimawandel sehr populär sind, werden Informationen oft generalisiert oder so stark vereinfacht, dass die falschen Schlüsse daraus gezogen werden. Im Falle von Fake News steckt jedoch eine Absicht hinter der Verbreitung von falschen Informationen. Diese können finanzieller oder ideologischer Natur sein. Fake News sind immer Meldungen, die stark emotionalisieren, polarisieren, und bei LeserInnen oft ein Überraschungsmoment auslösen, was dazu führt, dass die Nachricht schnell geteilt wird.

Bei vielen Berichten ist es für fachfremdes Publikum jedoch schwer zu entscheiden, ob es sich um verlässliche Informationen handelt oder nicht und kann in manchen Fällen tatsächlich nur von ExpertInnen beurteilt werden. Trotzdem gibt es einige Stolperfallen für Falschinformationen, die man nacheinander checken kann:

  1. ExpertInnenstatus prüfen

Recherchiere die AutorInnen oder HerausgerberInnen des Beitrags sowie die ExpertInnen, die genannt werden. Es kommt oft vor, dass angepriesene ExpertInnen nie zum jeweiligen Thema publiziert haben. Auf der Suchmaschine Google Scholar findest du durch eine einfache Namenssuche alle wissenschaftlichen Veröffentlichungen von genannten Personen.

https://scholar.google.de/

2. Achte auf fragwürdige Institutionen

Nicht immer, wenn die Begriffe Institut oder Akademie im Namen enthalten sind, handelt es sich um etablierte Forschungseinrichtungen. Sieh dir die Website an.

3. Achte vor allem im medizinischen Bereich auf Verkaufsangebote.

Wird dir z. B. beim Lesen eines Artikels über die Struktur von Wasser ein Gerät zur Herstellung von vermeintlich heilsamem Wasser angeboten, spricht das eindeutig gegen die Seriosität deiner Quelle.

4. Achte auf den Kontext, indem deine Information steht. Bei Büchern kann das der Verlag sein, bei fachlichen Publikationen das sog. Journal. Schau dir an, wer und was dort sonst noch veröffentlicht wird, um einzuschätzen aus „welcher Ecke“ deine Information kommt.

Das Buch “Corona Fehlalarm?” von K. Reiss und S. Bhakdi z. B. wurde im Goldegg Verlag veröffentlicht. Auf der Website des Verlags findet man zum Thema Gesundheit u. A. Bücher mit den Titeln „Gesundgevögelt in 12 Wochen“ oder „Einmal sterben und zurück. Wie man seinen eigenen Tod überlebt und das Herz neue Adern wachsen lässt“.

5. Achte auf die Stilistik deines Beitrags, besonders auf Emotionalisierung und Generalisierung.

Wissenschaftliche Erkenntnisse werden neutral und präzise präsentiert. Aussagen wie „Wlan permanent, auch nachts den Router an – sagen wir mal eine zerstörerische Frequenz“ (P. Zebergs im Youtube-Video zu „Zelltuning mit Hochfrequenz“ auf dem Kanal von QS24.TV) sind zutiefst unwissenschaftlich.

6. Achte darauf, ob Quellen angegeben werden. Wenn ja, mache dir die Mühe und schau sie dir an. Sind das wissenschaftliche Fachartikel? Wird dort die übermittelte Information auch so präsentiert oder kommt das Schlüsselwort einfach nur vor und die Botschaft ist eine ganz andere? Der Punkt der Quellenrecherche ist zeitaufwändig, aber es kommt tatsächlich oft vor, dass WissenschaftlerInnen falsch oder gar missbräuchlich zitiert werden.

Im Fall des oben angeführten „hexagonalen Wassers“ wird immer wieder ein Wissenschaftler aufgeführt, der zwar zum Thema Wasser publiziert hat, jedoch in ganz anderem Zusammenhang.

7. Wenn Abbildungen dargestellt werden, schau dir an, ob schlüssig ist, was daraus hervorgehen soll. Wird das Dargestellte erklärt? Ist eine Legende angeführt, d. h. ist ersichtlich welche Informationen dargestellt sind? Sind die Achsen beschriftet? Es ist nicht selten, dass sinnlose Abbildungen dem Beitrag einen wissenschaftlichen Anstrich geben. Es kommt auch oft vor, dass Abbildungen einfach kopiert werden, ohne die Quelle zu nennen. Oft passt dann auch der Kontext nicht richtig und es können falsche Schlüsse gezogen werden.

8. Wenn du dir trotz reichlicher Prüfung nicht sicher bist, höre dir die Gegenmeinung an und stelle auch dort eine Faktenanalyse an.

Gute Recherche ist ziemlich viel Arbeit. Zum Glück gibt es Fachleute, die das zum Teil schon übernommen haben. Schau gerne mal vorbei:

https://correctiv.org

https://mimikama.at

https://www.mdr.de/wissen/faktencheck/index.html

https://www.quarks.de/science-cops/

https://www.dw.com/de/faktencheck/t-56578552

https://www.swr3.de/aktuell/fake-news-check/index.html

Farben und Farbigkeit: Was macht unser Leben bunt?

Farben bereichern unser Leben in vielfältiger Weise und die Fähigkeit Farben zu sehen ist für uns Menschen in der evolutionären Geschichte sogar von lebenswichtiger Bedeutung. Aber wieso sind manche Dinge bunt und andere nicht? Wie entsteht dieser Farbeindruck in unserem Auge? Um das zu verstehen, muss man sich klar machen, was es mit Licht eigentlich auf sich hat.

Farbigkeit am Beispiel von buntem Farbpulver
Farbigkeit am Beispiel von buntem Farbpulver (Quelle: Frank Spandl, pixabay)

Licht, Wellenlängen und Energien

Unser sogenanntes „sichtbares Licht“ ist ein nur ein kleiner Teil des Spektrums der elektromagnetischen Strahlung. Aus unserem Alltag kennen wir auch andere Arten von elektromagnetischer Strahlung, wie z. B. die Röntgenstrahlung, Mikrowellen oder Radiowellen. Strahlung kann als Welle beschrieben werden und wird dann durch die Wellenlänge λ charakterisiert. Aus der Beziehung E=h•1/λ geht hervor, dass kurzwellige Strahlung energiereicher ist als länger wellige und dass Strahlung nur diskrete Energiewerte aufweisen kann. Energie gibt es also nur portioniert als Vielfache von h, dem Planck`schen Wirkungsquantum. Damit ist klar, dass Strahlung nicht nur als Welle, sondern auch als Teilchen betrachtet werden kann- und muss. Zum einen kennt man die typischen Welleneigenschaften, wie Überlagerung und die Ausbreitung im Raum, andererseits können einige Phänomene (z. B. der Photoeffekt) nicht erklärt werden, wenn man den Teilchencharakter des Lichts außer Acht lässt.

Unser sichtbares Licht besteht aus Photonen, deren Energie abhängig von der Farbe des Lichts einer Wellenlänge im Bereich von 380-750 nm entspricht.

Strahlungsbereiche des elektromagnetischen Spektrums. Dargestellt von Gammastrahlung bis Radiowellen.
Strahlungsbereiche des elektromagnetischen Spektrums. Die Energie der Strahlung nimmt mit zunehmender Wellenlänge ab.

Farbeindruck und Farbsehen nach der Young-Helmholtz-Theorie

Ein Objekt, das rot erscheint, „verschluckt“ den Teil des Lichts, der eine andere (kürzere) Wellenlänge hat als rote Farbe. Strahlung mit λ≥ 670 nm wird reflektiert und trifft auf die Photorezeptoren in der Netzhaut unseres Auges. Gesehen wird also die Komplementärfarbe zum absorbierten Wellenlängenbereich.

Farbkreis mit gekennzeichneten Komplementärfarben blau und gelb.
Komplementärfarben

Für das Farbsehen ist unser Auge dabei mit sog. Zapfen beteiligt. Im Normalfall besitzen wir drei verschiedene Zapfenarten: die S-, M-, und L-Zapfen. Diese Sinneszellen reagieren auf Lichtreize von kurzer Wellenlänge (small/rot), mittlerer (medium/grün) und langer Wellenlänge (long/blau). Die Anregungswellenlängenbereiche sind individuell etwas verschieden und überlagern sich zudem, was dazu führt, dass über eine Farbe wie petrol lang diskutiert werden kann. Der eine nennt sie blau, die andere türkis, und wieder andere würden sie als gar dunkelgrün bezeichnen. Selten ist Wissenschaft so uneindeutig.

Um das Dilemma des Farbsehens zu verkürzen, wird die Rolle der Stäbchen und der Ganglienzellen hier unterschlagen, was nämlich zu einem weiteren Definitionsproblem führen würde: Was ist eigentlich dunkel und was ist hell? Ein bisschen mehr dazu gibt es hier: Stäbchen und Zäpfchen: Lichtsinneszellen in der Netzhaut.

Uns interessiert eher, was eigentlich mit dem verschluckten Teil des Lichts in unserem farbigen Objekt passiert. . Dazu müssen wir jedoch genau definieren, um welche Art von Stoff es sich dabei handelt. 

Farbigkeit von organischen Farbstoffen

Organische Farbstoffe weisen immer ein ausgedehntes konjungiertes π-System auf. Meist sind es aromatische Systeme mit zusätzlichen funktionellen Gruppen, die sich als π-Donoren am konjungierten System beteiligen. Dadurch verschieben sich die Wellenlängen des absorbierten Lichts in den längerwelligen Bereich. Diesen Effekt bezeichnet man als Bathochromie. Oft werden Farbstoffe dadurch überhaupt erst bunt, denn kleinere π-Systeme (wie z.B. Benzol) absorbieren nicht im visuellen, sondern im UV-Bereich und erscheinen deshalb farblos. Die Energie der absorbierten Strahlung wird dazu verwendet, Elektronen von einem energetisch tiefliegenden Grundzustand in einen angeregten Zustand zu bringen. Welche Zustände das genau sind, ist stoffspezifisch. Alle möglichen Übergänge (z. B. von einem besetzten π-MO in ein unbesetztes π*-MO) unterliegen den Auswahlregeln. Diese sind aus den Übergangsmatrixelementen hergeleitet und geben an, ob ein Übergang erlaubt oder verboten ist. Verboten heißt hierbei aber nicht, dass eine solche Anregung überhaupt nicht stattfindet, sondern nur viel seltener vorkommt. In Bezug auf unsere Farbigkeit entspricht das einer sehr blassen Farbe.  

Organische Farbstoffe sind bis auf einige organische Pigmente wie z. B. Indigo im Anwendungsmedium löslich. Durch die Veränderung des π-Systems kann sich die Farbe ändern, eine Eigenschaft, die man z. B. bei Säue-Base-Indikatoren zu Nutze macht. Hier besteht die Veränderung nur durch die Aufnahme oder Abgabe eines Protons.

Bekannte organische Farbmittel sind die Azofarbstoffe. Allurarot wird z. B. zum Einfärben von roten Gummibärchen, Götterspeise oder Brause verwendet.

Strukturformel des Azofarbstoffs Allurarot.
Strukturformel des Azofarbstoffs Allurarot (E129)

Farbigkeit von anorganischen Pigmenten

Anorganische Pigmente enthalten immer Metalle. In den allermeisten Fällen sind sie an der Entstehung der Farbigkeit direkt beteiligt.

Auch in anorganischen Farbmitteln kann man die Farbigkeit durch optische Übergänge von einem Grundzustand in einen angeregten Zustand erklären. Allerdings ist die Betrachtung hier komplizierter, weil die Systeme unterschiedlich sind. In manchen Pigmenten finden Übergänge zwischen Metallen in unterschiedlichen Oxidationsstufen statt. Die gemischtvalente Verbindung Berliner Blau Fe4[Fe(CN)6]3 enthält Eisen in zwei verschiedenen Oxidationsstufen: Fe+II und Fe+III. Die Farbigkeit dieser Verbindung resultiert aus Charge-Transfer zwischen den beiden Fe-Spezies. Berliner Blau ist auch als Preußisch Blau in jedem Wasserfarbkasten zu finden.

In anderen Verbindungen, wie z. B. in Kaliumpermanganat KMnO4 finden Übergänge von nichtbindenden Orbitalen des Sauerstoffs auf das hochgeladene Mangan (Mn+VII, d0 Konfiguration) statt. Umgekehrt können Übergänge auch vom Metall auf die Liganden stattfinden.

Auch innerhalb eines Teilchens kann ohne Donor- oder Akzeptor-Wirkung der Liganden Farbigkeit entstehen. Hier finden dann d-d-Übergänge am Metall statt. Ein Bsp. dafür ist das Ti+III– Atom (grün in TiPO4, pink in Ti4P6Si2O25 und blau in TiP3O9).

In Salzen muss man die anstatt der MO-Theorie ein ausgedehnteres elektronisches System betrachten und erklärt die Farbigkeit mit der Bändertheorie. Die Energiedifferenz zwischen Valenz- und Leitungsband nennt man Bandlücke. In farbigen Salzen misst diese Bandlücke 1.7 – 3.2 eV, was dem Energiebereich des sichtbaren Lichts entspricht.

Schematische Darstellung des Bändermodells
Schematische Darstellung des Bändermodells. Links: Analogie zur LCAO-Methode. Rechts: Situation am Fermi-Niveau in den Fällen Leiter, Halbleiter und Isolator.

Polarlichter: bezaubernde Übergänge in Gasen

Wer nicht gerne in grauer Theorie verweilt, und wem Chromate und Manganate nicht das Herz höherschlagen lassen, den verzücken vielleicht aber die Polarlichter, die übrigens auch in der Nähe des Südpols zu sehen sind. Hier findet elektronische Anregung in Sauerstoff und Stickstoff aus unserem Atmosphärengas statt. Die Anregung kommt dabei aus elektrisch geladenen Teilchen der Sonnenwinde. Man kann das Lichtspektakel also als Elektronenmeteor bezeichnen.

Lichterscheinung Nordlicht in den Farben gelb/Grün/Blau
Nordlicht (Aurora borealis) (Quelle: Janina Bienkowski, pixabay)

Ob in fest, flüssig oder in Gasen, Farben prägen unser Leben, unser Empfinden und unsere Sprache. Und sie sind es auf alle Fälle wert, einmal ganz kurz theoretisch betrachtet zu werden.     


Literatur:

  1. A. Einstein, Über die Entwickelung unserer Anschauungen über das Wesen und die Konstitution der Strahlung, in: 81. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte zu Salzburg, 1909.
  2. J. Bleck-Neuhaus,Elementare Teilchen. Von den Atomen über das Standard-Modell bis zum Higgs-Boson. 2. Auflage, Springer 2013.
  3. E. Goldstein, L. Cacciamani, Sensation and Perception, 11. Auflage, Cengage Learning 2021.
  4. G. Pfaff, Inorganic Pigments, Walter de Gruyter 2017.
  5. W. Herbst, K. Hunger, Industrial Organic Pigments, Wiley-VCH 1997.
  6. D. Suter, Optische Übergänge in Atomen, Molekülen und Festkörpern, TU Dortmund Vorlesung Laserspektroskopie (Exp. Physik III) R. Glaum. M. A. Hitchmann, On the Bonding Behaviour of Transition Metal Ions in Inorganic Solids – Optical and Epr Spectroscopy Studies on Anhydrous Phosphates and Phosphate Silicates of Ti3+, Australian Journal of Chemistry 49(11): 1221-1228, 1996.

Das Gen-Taxi fährt mit GPS

Als Gen-Taxis werden funktionale Polymere bezeichnet, die Wirkstoffe umhüllen und zielsicher zu bestimmten Zellen transportieren. Die Herausforderungen im Design solcher Transportmoleküle liegt nicht nur im eigentlichen Transport, sondern auch in Aufnahme ins Zellinnere und der Freisetzung des Wirkstoffs.

Gegen Infektionen und Entzündungsprozesse existieren bereits eine Reihe von guten Wirkstoffen. Diese wirken allerdings systemisch auf den ganzen Körper. Es werden deshalb relativ hohe Dosen verabreicht, um auch am Infektionsort eine Wirkung zu erzielen. Das ist mit manchmal mit unerwünschten Nebenwirkungen verbunden. Um Wirkstoffe gezielt an den Infektionsort zu bringen, verfolgt der Ansatz der Gen-Taxis eine clevere Strategie.

Es ist kein revolutionärer mensch-gemachter Ansatz, sondern eine Kopie dessen, was in der Natur seit jeher und ständig passiert. Hier sind es Viren, die ihren „Wirkstoff“, ihre eigene Erbsubstanz, in unsere Zellen einschleusen. Trotzdem ist die Entwicklung von ähnlichen Transportmolekülen kein Kinderspiel.

Im Falle der Gen-Taxis sind die Taxis an sich Polymere wie z. B. die jüngst bekannt gewordenen Lipid Nanopartikel (LNPs). Dr. Anja Träger vom Jena Center for Soft Matter entwickelt solche polymeren Nanotransporter. Neben genetischem Material wie DNA oder RNA können aber auch Proteine oder kleinere Wirkstoffmoleküle als Fahrgäste in den Taxis fungieren.

Die Polymere haben einen Durchmesser von etwa 100 nm und sind damit 500-mal dünner als ein menschliches Haar. Die Ansprüche an die Transportmoleküle sind hoch: Sie müssen ihren Inhalt stabil und zuverlässig verpacken, der Transport muss direkt und ohne Umwege von statten gehen und es muss möglich sein, bestimmte Zelltypen zu adressieren. Von einer Wirkung auf das Immunsystem sollen z. B. Muskelzellen unbehelligt bleiben. Die Transportmoleküle müssen auf dem Weg zu ihren Zielzellen vom Immunsystem unbemerkt bleiben, dürfen nicht mit Blutproteinen wechselwirken, enzymatisch abgebaut werden und sollen eine gute Wasserlöslichkeit zeigen. Zudem müssen sie so beschaffen sein, dass ihr Inhalt am Zielort einfach und vollständig ausgepackt werden kann. Dann hätten sie ihre Funktion erfüllt und könnten abgebaut werden. Dabei ist wichtig, dass sie sich zu gesundheitlich unbedenklichen Einzelteilen zersetzen lassen.

Um selektiv und spezifisch am Zielort einzugreifen, kann z. B. der Stoffwechsel von Zellen ausgenutzt werden. Die Nanotransporter werden dann gezielt mit einem Nährstoff ausgestattet, der für bestimmte Zelltypen spezifisch ist. Diese und andere Strategien gewährleisten, dass die Wirkstoffe direkt da ankommen, wo sie gebraucht werden und sind quasi das Navigationssystem der Gen-Taxis.

Die Bindung des Wirkstoffs an das Polymer findet im Falle von Nukleinsäuren über die ionische Wechselwirkung der negativ geladenen Phosphatreste an die positiv geladenen Polymermoleküle statt.   

Der Transport ins Zellinnere findet über Endosomen statt. Das sind membrangebundene Zellorganellen, die in einem ersten Schritt mit der Oberfläche der Transportpolymere wechselwirken. In einem zweiten Schritt wird die Membran an dieser Stelle eingestülpt und in einem dritten Schritt abgeschnürt. Das mit Wirkstoff beladene Polymer befindet sich nun in einem Vesikel im Zellinneren.

Schematische Darstellung der Aufnahme von Substanzen durch Endozytose
Schematische Darstellung der Aufnahme von Substanzen durch Endozytose (Quelle: Wikipedia)

Doch damit ist die Reise des Wirkstoffs durch den Körper noch nicht ganz beendet, es muss noch aus dem Transportmolekül ausgepackt werden. An den Mechanismen der Freisetzung (endosomal escape) und der Beeinflussung dahin, dass Wirkstoffe schnell und effizient in der Zelle verfügbar sind, forscht auch die Arbeitsgruppe von Anja Jäger. Dafür werden unterschiedliche Polymer-Systeme getestet, die über hydrophobe Interaktionen, pH-Wert abhängige Mizellen oder auch pH-unabhängige Polymere, die auf Aminen basieren, funktionieren. Ob und wann ein Wirkstoff in den Zellen freigesetzt wird, wird über einen Farbstoff im Inneren des Transportmoleküls elektronenmikroskopisch verfolgt.

Die Weiterentwicklung der Gen-Taxis ist also bei weitem nicht abgeschlossen und auch wenn das System um das PEG-Polymer gut etabliert ist, wird es in Zukunft Alternativen geben.


Literatur:

  1. H. Shete et al., Endosomal escape: a bottleneck in intracellular delivery, J. Nanosci. Nanotechnol., 14 (1): 460-474, 2014.
  2. F. Richter et al., Tuning of Endosomal Escape and Gene Expression by Functional Groups, Molecular Weight and Transfection Medium: A Relationship Study, J. Mater. Chem. B, 8: 5026-5041, 2020.
  3.  T. Bus et al., The Great Escape: How Cationic Polyplexes Overcome the Endosomal Barrier, J. Mater. Chem. B, 6: 6904-6918, 2018.

Koffein: Muntermacher mit langer Tradition

Kaffee ist seit Jahrhunderten unser alltäglicher Muntermacher Nummer 1. Das enthaltene Koffein bringt uns morgens auf die Beine, regt die Verdauung an und vermag auch unsere Denkleistung zu boostern. Doch nicht nur Kaffee und Cola, sondern Tee und Schokolade enthalten den pflanzlichen Wachmacher.

Geröstete Kaffebohnen
Geröstete Kaffebohnen (Quelle: Kai Reschke, pixabay)

Kaffee wird in den Anbaugebieten Südamerikas, Afrikas und Südostasiens hauptsächlich zum Export angebaut. Um 1600 kam die Kaffeebohne über die Türkei zu uns nach Europa und gewann schnell an Beliebtheit. 2022 gehört die morgendliche Tasse Kaffee für knapp zwei Drittel der Deutschen zu einem guten Start in den Tag. Deutschland liegt im internationalen Vergleich allerdings bloß an 12. Stelle, den weltweit höchsten Kaffeekonsum betreiben die Einwohner von Luxemburg und Finnland.

Nicht nur Kaffee enthält Koffein

Koffein ist jedoch nicht nur in Kaffee und Cola enthalten, auch schwarzer und grüner Tee, viele Energy-Drinks und Schokolade sind koffeinhaltig.

LebensmittelBemessungseinheit
[ml] oder [g]
Koffeingehalt
[mg]
Filterkaffee20090
Energy-Drink25080
Espresso6080
Schwarztee20045
Grüntee20030
Kakao2008-35
Cola33035
Zartbitter-Schokolade5025
Vollmilch-Schokolade5010

Koffein kommt bekanntermaßen in den Samen der Kaffeepflanze und den Blättern der Teepflanze vor. Bei Tee wird oft von Teein gesprochen, das milder wirken soll als das Koffein in Kaffee. Das stimmt nicht, chemisch sind beide Substanzen identisch, lediglich die Konzentration des Wirkstoffs in den Getränken ist unterschiedlich.

Strukturformel von Koffein
Strukturformel von Koffein

Neben der Kaffee- und Teepflanze sind noch etwa 60 weitere Pflanzen bekannt, die Koffein enthalten. Dazu gehören auch der Matestrauch und der Kakaobaum. Vermutlich nutzen die Pflanzen das Koffein zum Schutz vor Fressfeinden, denn es schmeckt bitter.

Wundermittel oder Genuss mit Reue?

1820 konnte Friedlieb Ferdinand Runge den farb- und geruchlosen Feststoff erstmals isolieren. 1897 gelang dann die Strukturaufklärung. Schon früh wurde Koffein auch in der Medizin genutzt: Kaffee wurde bei Kopfschmerzen, bei Kreislaufschwäche, bei Antriebslosigkeit und später auch bei Bronchialasthma verabreicht. Es kursieren seither aber auch immer wieder hartnäckige Gerüchte über die Schädlichkeit von Kaffee. So sollen durch den Konsum Herzinfarkte begünstigt, Schlaganfälle, Thrombosen und Bauchspeicheldrüsenkrebs ausgelöst werden. Es kam auch immer wieder die Frage auf, ob Kaffee unfruchtbar oder impotent macht oder mutagen wirkt. Alle Verdächtigungen sind mittlerweile widerlegt.

In manchen Fällen, wie z. B. bei der männlichen Unfruchtbarkeit konnte zwar gezeigt werden, dass hoher Konsum von Cola die Beweglichkeit der Spermien stört, jedoch war dies auch bei den Männern der Fall, die koffeinfreie Cola zu sich genommen hatten und wurde schließlich auf den hohen Zuckergehalt der Getränke zurückgeführt. Die Entstehung von Bauchspeicheldrüsenkrebs konnte nach großem Furore in den 80er Jahren darauf zurückgeführt werden, dass die Bohnen mit einem Lösungsmittel behandelt worden waren, das sich als cancerogen erwies.

In anderen Fällen waren die relevanten Koffein-Konzentrationen so hoch, dass sie nur schwer durch Kaffeekonsum erreicht werden kann. Dies gilt leider ebenfalls für die bronchienerweiternde Wirkung von Koffein bei Asthma. Hier liegt die Einmalgabe bei 250 mg (entspricht 3 Tassen Kaffee).

Laut EFSA (European Food Safety Authority) sind Einzeldosen von 200 mg für Erwachsene unbedenklich. Ein Tageswert von 400 mg (für Schwangere und stillende Mütter 200 mg) sollte nicht überschritten werden, obgleich die letale Dosis bei oraler Aufnahme bei 5000 mg (entspricht rund 55 Tassen Kaffee) liegt.  

Koffein-Metabolismus

Die Wirkung von Koffein ist hinreichend bekannt: etwa 30-60 Minuten nach oraler Aufnahme steigen Puls und Blutdruck, man fühlt sich wacher und ist konzentrierter. Die Wirkung hält etwa 5 Stunden an, ist aber stark gewohnheitsabhängig. Bis das aufgenommene Koffein abgebaut ist, vergehen jedoch gerne mal 12 Stunden und mehr. Der Stoffwechsel findet in der Leber statt, wobei Koffein zuerst zu Theophyllin (1,3-Dimethylxanthin) und Paraxanthin (1,7-Dimethylxanthin) und schließlich zu Xanthin abgebaut wird, das dann letztendlich über den Urin ausgeschieden wird.  Bemerkenswert ist, dass Theophyllin und Paraxanthin stärkere Wachmacher sind als Koffein selbst. Bei RaucherInnen findet der Abbau induziert durch Nicotin schneller statt, die Wirkung von Koffein lässt dann schon nach drei Stunden nach.

In Schokolade ist neben wenig Koffein recht viel Theobromin (3,7-Dimethylxanthin) enthalten. Die Wirkung dieses Alkaloids ist zwar ähnlich der des Koffeins, jedoch viel schwächer.

Die Methylxanthine Koffein, Theophyllin, Paraxanthin und Theobromin hemmen den A2A-Rezeptor für Adenosin. Diese Adenosinrezeptoren kommen in allen Teilen des Körpers vor, was die Wirkung vielfältig macht: Im Gehirn bewirkt der Adenosinantagonist eine erhöhte Ausschüttung von Neurotransmittern wie Dopamin und Serotonin. In Niere und Darm eine erhöhte Urinproduktion und vermehrte Darmbewegung. Obwohl diese Wirkung nicht beliebig gesteigert werden kann, sind Überdosierungserscheinungen wie Übelkeit, Schwitzen, Schwindel und Zittern bekannt. Diese negativen Wirkungen sind aber nicht dauerhaft schädlich und können auch von zu viel Schwarz- oder Grüntee hervorgerufen werden.

Was den Koffeingehalt betrifft, liegt Tee zwar weit hinter Kaffee, aber meist wird auch mehr als eine Tasse getrunken. Schwarz- und Grüntee werden von der Teepflanze Camellia sinensis gewonnen und unterscheiden sich durch die Verarbeitung der Blätter. Während Grüntee nur getrocknet wird, wird Schwarztee zusätzlich fermentiert. Teeblätter enthalten neben Koffein auch die Flavonoide Epacatechingallat, Epigallocatechingallat, die als Radikalfänger wirken. Daneben ist auch Salicylcat, das Anion der Salicylsäure enthalten, was antiinflammatorisch wirkt. Dass Tee durch längeres Ziehen beruhigend wirken soll, ist ein Missverständnis: Durch langes Ziehen werden mehr Gerbstoffe frei, die beruhigend auf die Verdauung wirken. Der Koffeingehalt steigt bei langem Ziehen aber auch mit an. Ein Schlummertrunk ist starker Schwarztee also nicht. Die Verwendung der Teepflanze in China datiert bereits auf 2500 v. Chr. Nach Europa kam Tee erst im um 1700. Eine wirkliche Tradition hat das Teetrinken aber nur in Großbritannien, Irland und in Teilen von Norddeutschland erlangt.

Aus der aktuellen medizinischen Forschung gibt es immer wieder Beispiele, die die Anwendungsbreite von Koffein zeigen: kürzlich konnte gezeigt werden, dass Koffein einen positiven Einfluss auf die Entwicklung des Parkinson-Syndroms hat. Weiter wirkt sich Koffein negativ auf inflammatorische Prozesse in Schwangeren aus, die zu Früh- und Fehlgeburten führen können.

Fazit: Moderater Kaffee- und Teekonsum sind unbedenklich und hat sogar die ein oder andere positive Wirkung. Bei Überdosierung drohen keine Langzeitschäden, aber unangenehm könnte es schon werden. Auch einen Koffeinentzug kann man bedenkenlos wagen. Meist bleibt es bei ein bis zwei Tagen Kopfschmerzen und Müdigkeit.


Literatur:

  1. W. Beiglböck, Koffein: Genussmittel oder Suchtmittel, Springer 2016.
  2. S. Braun: Der alltägliche Kick von Alkohol und Koffein, Birkhäuser 1998.
  3. J. Emsley, Liebe, Licht und Lippenstift, Wiley-VCH 2007.