Element des Monats Dezember: Kupfer

Die Vorweihnachtszeit braucht Glanz und Gloria. Mit reichlich Glow kommt das Kupfer als Element des Monats daher, wobei es natürlich viel mehr kann als einfach nur zu glänzen. Es kann eben auch mal in grün oder blau erstrahlen, und ganz eventuell gibt es sogar Kupferverbindungen, die gänzlich farblos sind.

Kupferschrott mit und ohne Patina (glänzende oder matte Oberfläche)
Kupferschrott mit und ohne Patina (glänzende oder matte Oberfläche) (Quelle: pixabay, alexa)

Kupfer (Cu) ist das erste Element der Gruppe 11 im Periodensystem. Zu dieser sog. Kupfer-Gruppe gehören auch die Elemente Silber (Ag) und Gold (Au). Als schwerstes, aber auch kurzlebigstes Element der Kupfer-Gruppe existiert auch das radioaktive Röntgenium (Rg), das 1994 am Teilchenbeschleuniger UNILAC in Darmstadt erstmals erzeugt wurde. Seine Halbwertszeit liegt im Millisekundenbereich, danach zerfällt es unter Emission von Alphastrahlung.

Die Elemente der Gruppe 11 (Rg ausgeschlossen) werden auch Münzmetalle genannt. Sie weisen moderate Schmelzpunkte um 900 – 1100 °C auf und sind allesamt von edlem Charakter, d. h. sie oxidieren nicht oder nur langsam. Diese Eigenschaft wird anhand des Standardpotentials der Metalle deutlich: Die Werte der Redoxpaare liegen im positiven Bereich, was für eine gute Korrosionsbeständigkeit spricht.

RedoxpaarE0 [V]
Cu/Cu2++ 0.34
Ag/Ag++ 0.80
Au/Au3++ 1.50

Kupfer zeichnet sich außerdem durch seine exzellente elektrische Leitfähigkeit und seine gute Wärmeleitfähigkeit aus. Als reines Metall ist es für viele Anwendungen aufgrund seiner Duktilität sehr geeignet, denn es lässt sich gut formen und walzen. Kupfer ist bis heute ein zentrales Element für Konstruktions- und Funktionswerkstoffe.

Verwendung von Kupfer als Konstruktions- und Funktionswerkstoffe
Verwendung von Kupfer als Konstruktions- und Funktionswerkstoffe (Quelle: dt. Kupferinstitut)

Die ersten Anwendungen des Edelmetalls reichen bis 50 000 v. Chr. zurück. Legierungen mit anderen Metallen konnte man jedoch erst wesentlich später herstellen. Unter den über 400 Kupferlegierungen, die man heute kennt, erlangten v. A. die Bronzen (Cu und Sn) und die Messingphasen (Cu und Zn) Berühmtheit, doch auch die Nickellegierung „Konstantan“ mag Manchem ein Begriff sein. Die Bronzen waren in der Menschheitsgeschichte so bedeutend, dass gleich ein ganzes Zeitalter nach diesen Werkstoffen benannt wurde. Als Edelmetall ist Kupfer nicht ganz günstig. Der Kilopreis hat sich seit dem Frühjahr 2020 nahezu verdoppelt und liegt nun bei 7,83 € pro kg (Quelle: deutsches Kupferinstitut, 15.12.2022). Der Abbau erfolgt hauptsächlich aus südamerikanischen Sulfiden und Oxiden, wobei die Erze z. T. nur sehr geringe Kupfermengen enthalten. Die Hälfte des in Deutschland benötigten Kupfers stammt aus der Rückgewinnung aus Schrott.

Die Bedeutung von Kupfer in physiologischen Prozessen

Kupfer ist für den Menschen als Spurenelement wichtig. Es kommt in einigen Enzymen vor und hat im Wesentlichen die Funktion Elektronen zu übertragen. Hierfür sind v. A. die Oxidationsstufen +I und +II wichtig. So kommt Kupfer z. B. im bekanntesten Enzym der Atmungskette, der Cytochrom-c-Oxidase vor.

Als Cofaktor der Tyrosinase, einem Membranprotein, das in fast allen Lebewesen vorkommt, ist es an der Bildung von Melanin in unserer Haut beteiligt. Fehlt das Enzym, spricht man von Albinismus.

Bei gesunden Menschen wird Kupfer im Magen-Darm-Trakt aus der Nahrung resorbiert. Dabei bedarf es keiner speziellen Ernährung, denn in kleinen Mengen ist das Metall in Getreide, Fleisch, Meerestieren, Pilzen, Nüssen, Rosinen und Schokolade enthalten. Der tägliche Bedarf sinkt mit dem Alter. So brauchen Säuglinge und Kleinkinder 75 μg Cu pro kg Körpergewicht, Schulkinder und Teenager 40 μg/kg und Erwachsene nur noch 20 μg/kg. Die deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt die tägliche Aufnahme von 1 – 1,5 mg Kupfer für Erwachsene, was mit einer ausgewogenen Ernährung mühelos abgedeckt werden kann, denn ein Kupfermangel wird bei gesunden Menschen fast nie beobachtet.

Allerdings sind in Zusammenhang mit Kupfer zwei Stoffwechselkrankheiten bekannt: Bei Morbus Wilson reichert sich Kupfer in der Leber und in anderen Organen an, was durch die Gabe von Kupfer-bindenden Medikamenten wie z. B. Chelatbildnern reguliert werden kann. Ein größeres Problem ist das Menke-Syndrom, eine Kupfer-Mangelerkrankung, die auf einen Gendefekt auf dem X-Chromosom zurückzuführen ist. Leider hilft die Gabe von biologisch gut verwertbarem Kupfer, z. B. in Form von Histidinkomplexen nur sehr bedingt und die Betroffenen sterben in den ersten Lebensjahren. In der Empfängnisverhütung ist die spermizide Wirkung von Kupferionen bekannt.

Die antimikrobielle Wirkung von Kupfer und Kupferverbindungen

Im Obst- und Weinbau werden Kupferverbindungen, meist Kupfersulfatlösungen (CuSO4) zur Vorbeugung und zur Behandlung von Pilzerkrankungen wie Mehltau eingesetzt. Auch in der Tiermedizin kann Kupfersulfat gegen Strahlfäule bei Huftieren verwendet werden.

Ähnlich wie bei Silber wird auch für Kupfer die antimikrobielle Wirkung des reinen Metalls untersucht. Schon im Altertum wurde beobachtet, dass Wasser, das in Kupfergefäßen gelagert wurde, länger haltbar war und sich weniger Algen bildeten als bei der Lagerung von Wasser in Tonkrügen. Allerdings ist hier auch Vorsicht geboten, denn säurehaltige Lebensmittel oxidieren einen beträchtlichen Teil der Kupferoberfläche und hohe Kupferkonzentrationen sind nicht unbedenklich. Die in den 70er und 80er Jahren in Indien aufgetretene „Indische Kinderzirrhose“ beschreibt eine Kupfervergiftung einhergehend mit oft tödlich verlaufenden Leberschäden indischer Babys und Kinder. Unklar ist, ob die Ursache tatsächlich in der Verwendung von Kupfer-Milchkannen lag, oder ob es sich um eine ungewöhnlich hohe Prävalenz des Gendefekts im Zusammenhang mit Morbus Wilson handelte.

Als oberer Grenzwert gibt die WHO einen Wert von 10 mg Cu pro Tag für einen durchschnittlichen Erwachsenen an. Die Trinkwasserverordnung in Deutschland sieht als gesetzlichen Grenzwert 2 mg Kupfer pro Liter Leitungswasser vor. Bei der Aufnahme von hohen Dosen im zeistelligen mg-Bereich erfolgen typische Vergiftungssymptome wie Erbrechen, Kopfschmerzen, Schüttelfrost und ein trockenes brennendes Gefühl im Mund. Als Aufnahmehemmer werden in solchen Fällen D-Pencillamin, Trientine oder hohe Dosen von Zink gegeben.

Die Chemie des Kupfers: von rot bis blau-grün

Die Chemie von Kupfer ist geprägt von typisch metallischen Eigenschaften, also der Neigung Elektronen abzugeben. An Luft oxidieren Kupferoberflächen langsam zu Kupfer(I)-oxid (Cu2O), was dem Metall die typische rotbraune Farbe verleiht und matt erscheint. Elementares Kupfer hingegen ist heller und glänzt. Wohl bekannt ist auch die typisch grüne Patina, die sich auf Kupferoberflächen oft bildet.

Oberer Teil der Freiheitsstatue auf Ellis Island. Gut zu erkennen sind die zusammengesetzten Kupoferpaltten am oberen Arm der Statue.
Oberer Teil der Freiheitsstatue auf Ellis Island. Gut zu erkennen sind die zusammengesetzten Kupferplatten am oberen Arm der Statue. (Quelle: pixabay, Arpan Parikh)

Dies wird insbesondere in Städten beobachtet, wo die Luft viel CO2 und SO2 enthält. Auch chloridhaltige Meeresluft begünstigt die Bildung der Patina, die aus den basischen Carbonaten, Sulfaten und Chloriden (CuCO• Cu(OH)2, CuSO• Cu(OH)2 und CuCl• Cu(OH)2) zusammengesetzt ist.

Die bevorzugten Oxidationsstufen in geläufigen Kupferverbindungen sind +I und +II. Kupfer(I)-Verbindungen können mehr oder weniger ionische Verbindungen wie die Halogenide, Oxide und Sulfide sein. Auch organische Kupfer(I)-Verbindungen wie die Gilman-Cuprate (R2CuLi) sind bekannt. Letztere kommen neben neutralen Organokupferverbindungen (R-Cu) bei C,C-Kupplungsreaktionen zum Einsatz.

Cu(+II) ist die in wässrigem Medium stabilste Wertigkeit des Kupfers. Dies kann mit der hohen Hydratationsenthalpie und der Bildung des blauen Aquakomplexes [Cu(H2O)6]2+ begründet werden. Für Cu2+ existieren zudem eine Reihe weiterer farbenfrohe grüne bis blaue Komplexe, die in der analytischen Chemie als Nachweisreaktionen verwendet werden können.

Auch einige kupferhaltige Malerfarben, wie das Scheelesche Grün, das Pariser Grün sowie die Minerale Malachit und Azurit enthalten Cu2+.

Die kupferhaltigen Minerale Malachit (grün) und Azurit (blau)
Die kupferhaltigen Minerale Malachit (grün) und Azurit (blau)

Neben den schon erwähnten Kupfer(+I)- und (+II)-Verbindungen existieren auch Verbindungen mit Kupfer in der Oxidationsstufe 0, wie z. B. das metastabile Carbonyl Cu2CO6.

Die höheren Oxidationsstufen +III und +IV sind durch starke Oxidationsmittel zugänglich, aber selten.


Literatur:

J. Emsley, Mörderische Elemente, Wiley-VCH, Weinheim 2006.

S. Herres-Pawlis, A. Hoffmann, Sepia, Sonnenbräune und Stromkabel- Kupfer ist überall!, erschienen in Chemie der Elemente, GdCh (Herausgeber), 2019.

B. Schmitz, Die Rolle von Kupfer als nachhaltiger Werkstoff, Deutsches Kupferinstitut (Herausgeber), 2020.

E. Riedel, C. Janiak, Anorganische Chemie, 8. Auflage, de Gruyter, Berlin 2011.

A. F. Holleman, E. Wiberg, Lehrbuch der Anorganischen Chemie, 102. Auflage, de Gruyter, Berlin 2007.

https://www.pharmazeutische-zeitung.de/inhalt-01-2005/medizin1-01-2005/

https://www.kupfer.de

Element des Monats Oktober: Krypton

Den meisten fällt zu Krypton überhaupt nichts ein, einige wenige fabulieren über ferne Planeten und noch weniger finden es eigentlich ganz spannend, dass ein so selbstgefälliges Element wie Krypton eben doch manchmal zu was gut ist und sogar in Einzelfällen Verbindungen mit anderen Elementen eingeht – wenn auch nur unter Zwang…

Die Edelgase wurden im 19. Jahrhundert entdeckt. Schon damals war den Forschern klar, dass es sich dabei um äußerst unreaktive Bestandteile der Luft handelt. Krypton wurde nach Helium und Argon durch Destillation von flüssiger Luft von William Ramsay und Morris William Travers entdeckt.

„There remained […] a gas which showed besides the spectrum of argon a bright yellow and bright green line […] The new gas, which we named “krypton” or “hidden” was found to be […] when purified fourty times as heavy as hydrogen.” 

Sir William Ramsey in seiner Rede zum Nobelpreis über Entdeckung des Kryptons im Jahr 1894.

Die weiteren schwereren Edelgase folgten nur wenige Jahre später. 1900 wurde das radioaktive Element Radon entdeckt, das jedoch bis zum Jahr 1923 unter dem Namen Nito oder Radium-Emanation geführt wurde. In den frühen Zweitausendern kam letztendlich das kurzlebigste und schwerste Homologe Organesson dazu.

Vorkommen und Verwendung

Wie alle Elemente der achten Hauptgruppe ist auch das Krypton bei Standardbedingungen ein einatomiges Gas, das farblos und äußerst reaktionsträge ist. Es kommt in unserer Atmosphäre sehr selten vor: Nur etwa 1 Teilchen von einer Million Luftteilchen ist ein Krypton-Atom. In der Erdhülle ist das Element mit einer Häufigkeit von 1.9 • 10-5 ppm (parts per million) noch viel seltener. In anderen Teilen unseres Universums kommt es jedoch bedeutend häufiger vor. Die Anwendung von Krypton ist überschaubar. Es wird fast ausschließlich als Füllgas oder Zusatz in Glüh-, Halogen- und Leuchtstofflampen und in Geigerzählern verwendet. In Glühlampen z. B. setzt das Edelgas die Abdampfrate des Wolframs in der Glühwendel herab und ermöglich so höhere Glühtemperaturen.

Gasentladungslampen gefüllt mit den fünf Edelgasen.
Gasentladungslampen gefüllt mit den fünf Edelgasen (Quelle: Pslawinski, wikimedia)

Zur Untersuchung der Lungenventilation in der Computertomografie wird ein Gemisch aus Xenon und Krypton als Kontrastmittel eingesetzt, um die narkotisierende Wirkung des reinen Xenons zu begrenzen. Die Absorption von elektromagnetischer Strahlung wird auch im Flüssig-Krypton-Kalorimeter, einem Teilchendetektor, der am Genfer Forschungszentrum CERN zum Einsatz kommt, ausgenutzt. Das Kalorimeter ist hier ein Teil eines riesigen Detektorsystems, das zu Untersuchung extrem seltener Zerfallsreaktionen von Elementarteilchen benötigt wird.  

Verbindungen mit und ohne Bindung

Die Anzahl der „echten“ Verbindungen, in denen Krypton mit seinen Bindungspartnern mehr als nur eine recht unverbindliche Wechselwirkung eingeht, ist äußerst klein. Schon seit vielen Jahren ist die Verbindung Kryptondifluorid KrF2 bekannt. Ein extrem effizientes Oxidationsmittel. Neben der Fluorverbindung sind nur Verbindungen mit Kr–O- und Kr–N- Bindungen bekannt.

Mit den Krypton-Clathraten ist eine Fülle von physikalischen Verbindungen mit schwächeren Wechselwirkungen zu Krypton bekannt. In solchen Einlagerungsverbindungen ist das Edelgasatom in einer Art Käfigstruktur eingeschlossen. Im einfachsten Fall wird das Käfiggerüst aus Wassermolekülen gebildet. In Anwesenheit von Krypton, das sich leidlich gut (etwa 100 ml Gas in 1 l Wasser bei 0 °C) in gefrierendem Wasser löst, bildet Wasser nicht wie gewöhnlich eine hexagonale Eisstruktur, sondern eine kubische Struktur aus. Im kubischen Eis existieren zwar weniger Hohlräume, diese sind jedoch größer und können das große Krypton-Atom mit einem Van-der-Waals-Radius von 3.8 Å aufnehmen.

Ähnlich funktioniert die Einlagerung auch in Metallorganischen Gerüstverbindungen (MOFs), die so designt werden können, dass Poren und Kanäle ausgebildet werden, die gewünschte Größen und Formen aufweisen. Anwendung finden sie dann z. B. als Trennsystem für Xenon und Krypton.

In tiefen Gewässern und fernen Planeten

Die (geistige) Verbindung von Krypton mit Planeten und fernen Gestirnen ist kein reines Hirngespinst von Science-Fiction. Tatsächlich werden Proben von Asteroiden oder Gesteinsproben vom Mond auf ihren Krypton-Gehalt untersucht. Das Isotop 81Kr hat eine Zerfallszeit von 229 000 Jahren und lässt damit Untersuchungen zu, die weit außerhalb des zeitlichen Rahmens von 14C sind.

81Kr entsteht durch Wechselwirkung von stabilem Kr mit kosmischer Strahlung im oberen Atmosphärenbereich. Untersuchungen von Tiefengewässern und extraterrestischem Gesteinsmaterial lassen Rückschlüsse auf die Bildung der Erde und des Mondes zu. Es kam also durchaus von Vorteil sein, derart reaktionsträge zu sein.


Literatur:

  1. F. Aston et al., Report of the International Committee on Chemical Elements, J. Am. Chem. Soc., 45 (4): 867–874, 1923.
  2. Y. Oganessian et al., Synthesis of the isotopes of elements 118 and 116 in the 249Cf and 245Cm+48Ca fusion reactions, Phys. Rev. C., 74 (4): 44602–44602, 2006.
  3. D. Chon et al., Effect of low-xenon and krypton supplementation on signal/noise of regional CT-based ventilation measurements, J. Appl. Physiol., 102: 1535–1544, 2007.
  4. J. Brod, M. Gorbahn, Electroweak corrections to the charm quark contribution to K + → π + ν ν ¯ kaon-decay, Phys. Rev. D, 78 (3): 34006, 2008.
  5. J. F. Lehmann, The chemistry of Kr, Coord. Chem. Rev., 233:1-39, 2002.
  6. R. Barrer, D. Ruzicka, Non-stoichiometric clathrate compounds of water. Part 4: Kinetics of formation of clathrate phases, Transactions of the Faraday Society, 58: 2262-2271, 1962.
  7. C. Buizert, 81Kr dating identifies 120000-year-old ice at Taylor Glacier, Antarctica, Proc. Natl. Acad. Sci.U.S.A., 111 (9): 6876-6881, 2014.
  8. P. Will et al., Indigenous noble gases in the Moon`s interior, Sci. Adv., 8 (32): 2-8, 2022.

Element des Monats September: Indium

Das Element mit der Ordnungszahl 49 ist selten. Obwohl es sich auf den ersten Blick wie ein typisches Metall verhält, kann man ihm beim genaueren Hinsehen doch auch etwas Kovalentes und Ionisches abgewinnen. Indium ist eines der Elemente, bei dem Bindungstheorie spannend wird.

Das BIld zeigt reines, silbern glänzendes Metall
Das reine Metall ist weich und silbern glänzend. (Quelle: https://assignmentpoint.com/indium)

Indium ist ein typisch unedles Metall. Es glänzt silbern, ist weich und duktil. Es ist das weichste Metall, das wir in den Händen halten können. Es lässt sich leicht biegen und macht dabei ein merkwürdig knirschendes Geräusch, das an das bekannte „Zinngeschrei“ seines Nachbarelements erinnert. Indium schmilzt ab 157 °C und bleibt dann bis 2000 °C flüssig.

Von Indium sind 38 Isotope und 45 Kernisomere bekannt. Natürlich vorkommend sind 115In mit 66 Neutronen und einer Häufigkeit von 95,7 % sowie 113In (64 Neutronen) mit einer Häufigkeit von 4,3 %. Unter Normalbedingungen kristallisiert Indium in einer tetragonal verzerrten kubisch flächenzentrierten Struktur. Weitere Modifikationen sind nur unter hohen Drücken von mehr als 45 GPa bekannt.

Entdeckung und Vorkommen: selten, unedel, aber teuer

Das Schwermetall ist sehr selten. Seine Häufigkeit in der Erdkruste liegt bei 0,05 ppm. Indium wurde deshalb auch erst sehr spät entdeckt: 1863 stießen F. Reich und T. Richter von der Bergakademie Freiberg in Sachsen bei der Suche nach Thallium in einem Zink-Erz auf das Element. Seinen Namen verdankt Indium der indigoblauen Flammenfarbe. Diese kommt durch einen elektronischen Übergang vom 5p-Grundzustand in das 6s-Niveau des angeregten Zustands zustande und entspricht der Spektrallinie bei 451 nm, also blauer Farbe.

Indium kommt in Mineralien wie Indit (FeIn2S4) oder Roquestit (CuInS2) vor, die hauptsächlich in Canada, China und Peru abgebaut werden. In kleineren Mengen ist Indium auch in Zink-haltigen Erzen wie Sphalerit (ZnS) enthalten, die z. B. auch in Deutschland gefunden werden. Der Gehalt an Indium liegt jedoch im ppm-Bereich und der Abbau ist deshalb wenig lukrativ.

Die globale Verfügbarkeit aller In-Vorräte wird auf 11.000 t geschätzt, was Indium zu einem knappen Rohstoff macht. 2008 lag der recycelte Anteil erstmals über der Menge an neu gewonnenem Metall, was den Preis deutlich sinken ließ.

Zeitliche Entwicklung des Indium-Preises. Die Angaben beziehen sich auf die Preise pro kg und wertden in € angezeigt.
Die zeitliche Entwicklung des Indium-Preises. Die Angaben beziehen sich auf die Preise pro kg und wertden in € angezeigt. (Quelle: www.indium-preis.de)

Lange bedeutungslos, heute unverzichtbar

Die ersten Anwendungen des unedlen Metalls waren recht unspektakulär und standen in engem Zusammenhang mit seiner Weichheit und der Ungiftigkeit für den menschlichen Körper. So wurde es ab den 30-er Jahren in Zahnfüllungen oder zum Überzug von Legierungen verwendet. Speziellere und spannendere Anwendungen folgten im 21. Jahrhundert mit fortschreitender Entwicklung der Halbleitertechnik und Informationstechnologie. Heute wird Indium in Lasern und Leuchtdioden sowie in der Hochfrequenztechnik verwendet. Es ist Bestandteil der ITOs (Indium-Tin-Oxides), die als transparente leitende Materialien Anwendung in Touchscreens und flüssigkristallinen Bildschirmen finden. In jedem Smartphone sind mehrere Milligramm Indium verbaut. Auch in Dünnschichtsolarzellen, den CIGS (Kupfer-Indium-Gallium-Diselenide, CuInxGa1-xSe2) wird Indium verwendet.

Oxidationsstufen und ein Hauch von Bindungstheorie

Neben der für die dritte Hauptgruppe typische Oxidationsstufe +III sind auch Verbindungen mit einwertigem In bekannt. Die Ausbildung der s2-Kationen für In wird durch seine Stellung im Periodensystem gerechtfertigt. Innerhalb der Hauptgruppen werden niedrige Oxidationszahlen zu den schwereren Elementen hin stabilisiert. Die gemischt-valente Verbindung In2Br4 enthält Indium in beiden Oxidationsstufen.

Metallorganische Alkyl- oder Aryl-Verbindungen sind nur von In+III stabil. Analoge In+I-Verbindungen disproportionieren schon unterhalb von Raumtemperatur. Auch einige In+II– Verbindungen mit In-In-Einfachbindungen sind bekannt, sie benötigen allerdings eine hohe sterische Abschirmung, sonst findet auch hier eine Disproportionierung statt. Insgesamt ist die In-C-Bindung nicht sonderlich stabil und thermische Zersetzung erfolgt oft schon bei moderaten Temperaturen.

In Gruppe 13 des Periodensystems findet der Übergang von Nichtmetallen zu Metallen statt. Das leichteste Element dieser Gruppe, das Bor, ist ein typisches Nichtmetall. Die schwereren Homologen sind Metalle, also typische Kationenbildner. Salzartige Verbindungen wie InBr3 sind aus den Elementen darstellbar.

Daneben existieren aber auch viele Indium-Bromide und Iodide mit kovalenten In-In-Bindungen.

In zahlreichen intermetallischen Phasen wie z. B. CaIn oder CaIn2 tragen dier Indium-Atome gar negative Ladungen. Die Art der Bindung nicht mehr mit den einfachen Bindungskonzepten zu erklären.

Die Kristallsturkturen von CaIn und CaIn2.
Die Kristallsturkturen von CaIn (links) und CaIn2 (rechts). Die Indium-Atome sind in blau, die Calcium-Atome in gelb dargestellt.

In der Struktur von CaIn (Struktur rechts) sind kleine isolierte In-Einheiten zu erkennen. In diesen Vierringen ist jedes Indium-Atom zweibindig. Die formale Ladung ist nicht so einfach zu bestimmen. Eine ionische Zerlegung nach dem Zintl-Konzept erklärt die Ladungsverteilung nicht: 4 CaIn à 4 Ca2+ + [In4]12- – 4 e

Durch eine solche Zerlegung bleibt ein Elektronenmangel von 4 ebestehen, der durch die Ca-Kationen nicht ausgeglichen werden kann.

Für Vertreter des CaIn2-Strukturtyps (Struktur links) funktioniert die ionische Zerlegung. Die vierbindigen In-Atome sind formal einfach negativ geladen.

Die beiden Beispiele zeigen, dass eine einfache Aussage über die Bindungsverhältnisse anhand der Summenformel nur für echte Salze funktioniert. Anhand der intermetallischen Indium-Verbindungen können spannende Untersuchungen der elektronischen Struktur angestellt werden, die durch quantenchemische Rechnungen ergänzt werden. Die Vielfalt dieser Verbindungen füllt ganze Doktorarbeiten…


Literatur:

  1.  W. Uhl, Indium – selten und wichtig, in: Chemie der Elemente (GdCh Hrsg.), S. 39-41 Frankfurt 2019.
  2. https://www.institut-seltene-erden.de/seltene-erden-und-metalle/strategische-metalle-2/indium
  3. A. Hollemann, N. Wiberg, Lehrbuch der anorganischen Chemie, Band 1, 103. Auflage, De Gruyter 2017.

Element des Monats August: Quecksilber

Quecksilber ist zweifellos eines der bekanntesten Elemente des Periodensystems. Lange geliebt, oft bewundert, gebraucht und missbraucht, und heute schließlich verpönt, blickt das „flüssige Silber“ auf eine lange und enge Bindung zur Menschheit zurück.

silbern-glänzende Quecksilber-Tropfen
Elementares Quecksilber (Quelle: Fotolia.com)

Schon in seinem Namen offenbart das Element Quecksilber seinen sonderbaren Charakter: Das chemische Symbol Hg steht für Hydragyrum (griechisch:  Wassersilber) und wurde auch als Argentum vivum, als lebendiges Silber bezeichnet. Im Englischen wird es neben Mercury auch Quicksilver – schnelles Silber – genannt.

Ungewöhnliche Eigenschaften

Wer schon einmal gesehen hat, wie kleine Kügelchen des glänzenden Metalls auf glatten Oberflächen fließen, der wird den Namen flüssiges Silber nur allzu treffend finden. Quecksilber ist das einzige Metall, das bei Raumtemperatur in flüssigem Zustand vorliegt. Es bildet in elementarer Form silbern glänzende Kugeln, die beim Aneinanderstoßen miteinander verschmelzen. Der bei Raumtemperatur flüssige Zustand ist tatsächlich ein absolutes Alleinstellungsmerkmal. Metalle, insbesondere glänzende Edelmetalle, sind gewöhnlich erst bei mehreren Hundert, oft sogar erst über 1000 °C flüssig.

Der Aggregatzustand ist jedoch nicht die einzige Absonderlichkeit, die Quecksilber zu bieten hat. Aufgrund der hohen Oberflächenspannung fließt es über glatte Flächen, ohne diese zu benetzen. Eine Flüssigkeit, die keine Flecken hinterlässt.  Auch die hohe Dichte der Flüssigkeit überrascht: ein Liter Quecksilber wiegt fast 15 kg! Heute werden ungewöhnliche physikalische Eigenschaften jedoch nicht mehr mystifiziert, sondern nüchtern erklärt. Was das Interesse an ungewöhnlichen Elementen jedoch nicht schmälert. Mit der Ordnungszahl 80 gehört Hg zu den schweren Elementen, auf die sich relativistische Effekte besonders stark auswirken. Aufgrund der Lanthanoiden-Kontraktion ist die hohe Kernladung weniger effektiv abgeschirmt als bei den leichteren Homologen der Gruppe 12. Besetzte Orbitale, wie auch das Valenzband liegen deshalb im Vergleich zu Zn und Cd näher am Kern, was das Fermi-Niveau absenkt und die Bandlücke vergrößert. Daraus resultieren eine schwache Metall-Metall-Bindung, schlechte elektrische Leitfähigkeit und eine vergleichsweise hohe Flüchtigkeit. Rechnerische Analysen zeigen, dass die Auswirkung relativistischer Effekte den Schmelzpunkt von Hg um etwa 100 Kelvin erniedrigen.

1911 entdeckte der niederländische Forscher Heike Kamerlingh Onnes eine andere wirklich großartige Eigenschaft des Quecksilbers. Das Metall, das bei Raumtemperatur den elektrischen Strom eher schlecht leitet, wird beim starken Abkühlen mit flüssigem Helium auf -269 °C zum perfekten Leiter. Mit der Entdeckung der Supraleitfähigkeit tat sich ein Forschungsfeld auf, das auch heute noch viele WissenschaftlerInnen umtreibt.

Früh gekannt, in Fülle genutzt… Schon in der Antike kannte und nutze man gelbe und rote quecksilberhaltige Pigmente (HgO und HgS). Sehr hohe Quecksilber-Konzentrationen wurden in Mayastätten wie Tikal gefunden. Es ist erwiesen, dass das Quecksilber aus dem roten Zinnober (HgS) ins Trinkwasser freigesetzt wurde.

Qin Shi Huang, der erste Kaiser Chinas, 259-210 v. Chr. (Quelle: J. Clements,
The First Emperor of China, Sutton Publishing, Cheltenham 2006.)

Der Legende nach soll es im Grabmal des ersten chinesischen Kaisers Flüsse aus Quecksilber gegeben haben, die die Weltmeere symbolisieren sollten. Ob die Legende stimmt, oder ob sich die Überlieferungen damit vermischen, dass der größenwahnsinnige Kaiser den Tod mit quecksilberhaltigen Zaubertränken überwinden wollte, ist unklar. Fakt ist jedoch, dass er das „Elexier der Unsterblichkeit“ kaum überleben hätte können. Denn: nahezu alle Quecksilberverbindungen sind hoch toxisch. Um das Jahr 1000 gab es in den Palästen der Kalifen in mehreren arabischen Städten mit Quecksilber gefüllte Becken oder Springbrunnen, die für das Spiel mit Lichtwirkungen genutzt wurden, auch über Quecksilber-Bäder wird berichtet.

Hg in der Medizin- ein Teufelszeug der Alchemisten?

Ab dem Mittelalter hielt man es jahrhundertelang für gute medizinische Praxis, allerlei Krankheiten mit Quecksilber oder Quecksilberverbindungen zu behandeln. Paracelsus wandte HgCl2-Lösungen als Abführmittel an und behandelte Syphilis mit quecksilberhaltigen Salben. In seinen Lehren wird dem Quecksilber eine zentrale Rolle zugeschrieben, denn zusammen mit Schwefel und Salz als sog. nicht-stoffliche Elemente baut es den menschlichen Körper auf. Schwefel symbolisiert das Brennbare, die Seele, das Quecksilber die Flüchtigkeit, der Lebens-Geist und das Salz das Beständige, den Körper selbst. Durch Ungleichgewichte zwischen den Dreien entstehen nach alchemistischer Auffassung Krankheiten, die durch Gabe des fehlenden Stoffes ausgeglichen wurden.  

Paracelsus, 1493-1541 (Quelle: Pharmaziemuseum der Universität Basel)

Wer denkt, dass Quecksilber nur Alchemisten, Mittelalter-Quacksalbern und Badern vorbehalten war, der fehlt. Auch in der modernen Medizin hat Quecksilber eine Verwendung, wenngleich die Anwendung und vor Allem auch die Dosierung mittlerweile stark reduziert sind. Bis 2003 wurde das Antiseptikum Mercurochrome vermarktet, das wie der Name schon sagt, Quecksilber enthielt. Auch Zahnfüllungen aus Amalgam waren bis vor einigen Jahren Standard. Amalgame sind Legierungen des Quecksilbers, bei Zahnfüllungen beträgt der Hg-Gehalt stolze 60 %. Wie genau sich die intermetallischen Verbindungen im Laufe der Zeit verändern ist nicht genau bekannt. Geklärt ist hingegen, dass es sich beim Hauptbestandteil der Dentalfüllungen um die Phase Ag2Hg3 handelt. Auf Beschluss der EU-Kommission wird die Verwendung von zahnärztlichem Amalgam seit Juli 2018 jedoch minimiert, bis 2030 soll über ein evtl. Verbot entschieden werden. Aktuell stecken in den Mündern von EU-Bürgern aber noch 1.300 bis 2.200 Tonnen des giftigen Metalls und ein durchschnittlicher Erwachsenenkörper enthält, ohne Zahnfüllungen, etwa 6 g Hg.

Obwohl in den westlichen Ländern ein erhöhtes Bewusstsein für die Giftigkeit des Quecksilbers existiert, herrscht weitgehend Stillschweigen über die Emissionsquellen. 20 % des weltweit durch menschliche Aktivitäten emittierten Quecksilbers fallen allein als Abfallprodukt bei der Verbrennung von Kohle zur Stromerzeugung an. In Deutschland sind das jährlich etwa 7 Tonnen Quecksilber! Auch durch Müllverbrennung und Vulkanausbrüche wird das Metall freigesetzt. Global gelangen jährlich bis zu 30 Tonnen Hg in die Atmosphäre, werden irgendwann abgeregnet und reichern sich in Gewässern an. Über Algen und Fische landet das Metall schließlich dann auf unseren Tellern. Einige Fische, wie z. B. Thunfisch, Hecht oder Hai enthalten besonders viel Quecksilber. Diese hohen Konzentrationen schädigen die Tiere selbst wohl deshalb nicht, weil sie ebenso hohe Konzentrationen von Selen enthalten. Selen hat eine hohe Hg-Affinität und wirkt somit als Quecksilber-Antagonist.

Macht wirklich nur die Dosis das Gift?

Die Toxizität von Quecksilber sollte nicht pauschalisiert werden. Es kommt nämlich nicht nur auf die Dosis, sondern auch darauf an, wie und in welcher Form das Schwermetall aufgenommen wird.

„Little Willie from his mirror
Licked the mercury right off,
Thinking in his childish error,
It would cure the whooping cough.
At the funeral his mother
Brightly said to Mrs. Brown:
`Twas a chilly day for Willie
When the mercury went down.´”

(Harry Graham, Ruthless Rhymes for Heartless Homes, 1899)

Quecksilber kommt in Dentalfüllungen vor, in elektrischen Schalter, in Leuchtstoffröhren, in Xenon-Scheinwerfern, in Energiesparlampen, bei der Chlor-Alkali-Elektrolyse und beim Gold-Abbau z. B. in Peru oder auf den Philippinen.

Elementares Quecksilber ist ungeladen und oberhalb von -39 °C flüssig. Wie alle Flüssigkeiten kann auch das Metall langsam verdampfen und wird so über die Atemwege aufgenommen. Viel gefährlicher sind allerdings die Quecksilber-Dämpfe, die bei Erhitzen des Metalls entstehen. Seit 2011 gilt ein MAK-Wert (Maximale Arbeitsplatz-Konzentration) von 0,02 mg Hg/m³ Luft, die Resoptionsrate liegt bei 80 %.

Quecksilber passiert die Blut-Hirn-Schranke und ruft bei hohem Dosen Schädigungen des zentralen Nervensystems hervor. Akute Vergiftungserscheinungen sind Atemnot, Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Zittern, Orientierungslosigkeit und Krämpfe. Bei chronischer Exposition manifestieren sich die neurokognitiven Störungen, Schädigungen vor allem des Gehirns können irreversibel sein.

Als anorganisches Quecksilber wird meist das zweiwertige Kation bezeichnet, obwohl Quecksilber auch in der Oxidationsstufe +I auftreten kann. Aufgrund der Elektronenkonfiguration 5d106s2 ist vor allem die Oxidationsstufe +II stabil. Einwertiges Hg wird durch die Ausbildung von Hg-Hg-Bindungen stabilisiert. In Salzen kommen typischerweise [Hg-Hg]2+-Hanteln vor.

Quecksilbervergiftungen kommen heutzutage fast immer über Kontakt mit gelösten Quecksilbersalzen oder Quecksilberverbindungen vor. Oral oder über die Haut aufgenommen, akkumuliert das Metall in Niere und Leber, verursacht nach Verschlucken Darmschädigungen und ruft die gleichen Vergiftungserscheinungen hervor, wie elementares Quecksilber. Allerdings beträgt die Resorption bei oraler Aufnahme nur etwa 10 %, die letale Dosis liegt bei etwa 1 Gramm. Nochmals höhere Werte gelten für die subkutane Aufnahme.

Bereits im 18. Jahrhundert kannte man das Krankheitsbild des Erethismus mercurialis, des Hutmachersyndroms. Hutmacher waren berufsbedingt täglich hohen Hg-Konzentrationen ausgesetzt, weil Felle und Filze mit Quecksilbersalzlösungen behandelt wurden. Auch der verrückte Hutmacher aus Alice im Wunderland (Lewis Carrol 1865) wird als leicht reizbare Person mit ständig wechselnden Stimmungslagen beschrieben. Bis in die 90-er Jahre waren HgCl-haltige Vaginalzäpfchen auf dem Markt, die der Empfängnisverhütung dienten. Die Wirkung als Spermizid beruht auf der Hohen Bindungsaffinität des Quecksilbers zu Schwefel und damit zu SH-Gruppen in Proteinen. Auch eine Schädigung der DNA wird beschrieben.

Als organisches Quecksilber sind vor allem die Verbindungen Methylquecksilber (MeHg+) und Dimethylquecksilber (Me2Hg) von Bedeutung. Ihre Toxizität ist seit 1863 bekannt. Es liegt eine hohe Resorption der Verbindungen über die Atemwege und die Verdauungsorgane vor. Methylquecksilber entsteht durch mikrobielle Methylierung z. B. aus natürlichen Quecksilbervorräten im Meeresboden. Bereits kleine Dosen sind sehr giftig und verbleiben über Jahrzehnte im Körper. Methylquecksilberverbindungen erlangten in den 50-er Jahren traurige Berühmtheit, weil sie im japanischen Minamata das Grundwasser vergifteten. Verantwortlich für die Umweltkatastrophe, die Tausenden von Menschen das Leben kostete, war eine Chemiefirma, die ihr Abwasser in die Flüsse leitete.

Um Vergiftungen zu vermeiden, werden im kritischen Expositionsfall als Quecksilberfänger sog. Mercaptane eingesetzt. Schwefelhaltige Komplexliganden wie 2,3-Dimercapto-1-propansulfonsäure (DMPSO) und meso-2,3-Dimercaptobernsteinsäure binden Hg und beschleunigen die Ausscheidung. Hierbei wird die Bindungsaffinität zu Schwefel ausgenutzt. Auch selenhaltige Präparate sind wirkungsvoll.

Obgleich heute alles Mystische und Kuriose über das einst so rätselhafte Element aufgeklärt ist, scheint ein böser und unheilvoller Schatten um das Element geblieben zu sein. Immer wieder wird Quecksilber in verquere Zusammenhänge verstrickt. Der Hg-haltige Konservierungsstoff Thiomersal in früheren Impfstoffen soll Autismus bei Kindern hervorrufen und auf alternativmedizinischen Internetseiten wie z. B. Zentrum der Gesundheit finden sich allerlei merkwürdige Präparate zur Ausleitung von Quecksilber im Körper. Eine Korianderkur ist zwar sicherlich nicht schädlich, jedoch gibt es keinerlei Belege für die Wirksamkeit und es impliziert, dass der Umgang mit ernst zu nehmenden Vergiftungen laienhaft betrieben werden kann.


Literatur:

  1. F. Calvo et al, Evidence for Low-Temperature Melting of Mercury owing to Relativity, Angewandte Chemie International 52, 2013.
  2. H. Dopsch, Paracelsus – Arzt, Philosoph oder Goldmacher? In: U. Müller und W. Wunderlich, Künstler, Dichter, Gelehrte. Mittelalter-Mythen. Band 4. UVK, Seite 950 ff, Konstanz 2005.
  3. W. Heinz: Die gelehrte Medizin zwischen Mittelalter und Humanismus. Wo steht Paracelsus? In: A. Classen: Paracelsus im Kontext der Wissenschaften seiner Zeit. Kultur- und mentalitätsgeschichtliche Annäherungen.,S. 151–174, Berlin 2010.
  4. MAK Value Documentation in German language, Quecksilber und anorganische Quecksilberverbindungen, 2002.
  5. https://www.institut-seltene-erden.de/seltene-erden-und-metalle/strategische-metalle-2/quecksilber
  6. C. Hoch, Mein Lieblingselement: Quecksilber, Nachrichten aus der Chemie 67: 54-60, 2019.
  7. T. Syversen, P. Kaur; Die Toxizität des Quecksilbers und seiner Verbindungen, Perspectives in Medicine 2:133-150, 2014.
  8. https://www.uni-heidelberg.de/presse/news2013/pm20130827_quecksilber.html
  9. https://www.srf.ch/kultur/kunst/kaiser-qin-reformen-quecksilber-und-8000-terrakotta-krieger