Das Beweismittel aus dem Zellkern – DNA-Analyse in der Kriminaltechnik

Es ist an sich nichts Neues, dass anhand von DNA-Spuren TäterInnen überführt oder Opfer identifiziert werden können. Zumindest sofern sich ihre DNA-Sequenz in der polizeilichen Datenbank befindet. Zwei neuere Methoden erleichtern die Ermittlungsarbeit auch in Fällen, bei denen die Datenbank keinen Treffer anzeigt.

Unser Genom besteht aus drei Milliarden Basenpaaren. Nur etwa drei Prozent davon kodieren für Genprodukte, wie z. B. Proteine. Noch viel weniger, nämlich nur knappe 0.5 % unterscheiden sich von Mensch zu Mensch. Eine Möglichkeit solche genetischen Unterschiede zur Differenzierung von Menschen zu nutzen, basiert auf den sog. Short Tandem Repeats (STRs). Das sind DNA- Abschnitte mit Wiederholungseinheiten von wenigen Basenpaaren.    

Short Tandem Repeat der Abfolge A-T, A-T, T-A, G-C (Adenin grün, Thymin rot, Guanin blau, Cytosin gelb)

Solche Abschnitte entstehen durch Mutationen, sind aber in der Regel nicht mit dem Auftreten von Krankheiten oder Störungen verbunden. In unserem Genom kommen mehrere hunderttausend solcher Wiederholungseinheiten vor. Wie ein Fingerabdruck sind sie typisch für einen speziellen Menschen. STRs werden weitervererbt. Das Ausmaß gemeinsamer Repeat-Abschnitte kann also den Verwandtschaftsgrad anzeigen.

Eine weitere personentypische Besonderheit in der DNA-Sequenz sind Unterschiede in einem einzigen Basenpaar, sog. Single Nucleotide Polymorphismen (SNPs).

Single Nucleotide Polymorphism am Beispiel von drei Varianten.
Single Nucleotide Polymorphism am Beispiel von drei Varianten: Person 1 (oben) trägt an der Stelle das Basenpaar Adenin-Thymin, Person 2 (Mitte) das Basenpaar Guanin-Cytosin und Person 3 (unten) das Basenpaar Thymin-Adenin.

Weil es viel zu aufwendig ist, das gesamte Genom zu analysieren, nutzt man den Vergleich von bestimmten Abschnitten, auf denen SNPs typischerweise vorkommen als Marker.

In der Forensik können je nach Fragestellung verschiedene Methoden zur Ermittlung herangezogen werden. Anhand von DNA-Spuren an Tatorten können Personen identifiziert oder es können Prognosen über Ihr äußeres Erscheinungsbild gegeben werden. Diese Verfahren sind Realfall aber bei weitem nicht so trivial wie sie erscheinen, denn oft sind die gefundenen Spuren in unzureichendem Maße vorhanden oder die Qualität der Probe ist mangelhaft.

Überblick über die forensischen DNA-Analyse-Methoden DNA-Profiling, DNA-Genealogie, DNA-Phänotypisierung
Überblick über die forensischen DNA-Analyse-Methoden DNA-Profiling, DNA-Genealogie, DNA-Phänotypisierung

DNA-Phänotypisierung

Die DNA- Phänotypisierung erfolgt über die Analyse von SNPs in den Genen, die für typische äußere Merkmale kodieren.

Seit 2019 ist es in Deutschland rechtlich möglich, anhand von DNA-Proben Aussagen über das äußere Erscheinungsbild einer Person zu treffen. Dabei können jedoch nur Rückschlüsse auf Pigmentierung von Haut und Haaren und auf die Augenfarbe gezogen werden. Die Testergebnisse werden als Wahrscheinlichkeitswerte ausgedrückt. Nicht für alle Merkmale gelten die gleichen Voraussagegenauigkeiten. So sind z. B. dunkle Haut oder blaue Augen mit höherer Wahrscheinlichkeit zutreffend als helle Haut oder dunkle Augen.

Eine Aussage über die biogeographische Herkunft von potenziellen TäterInnen ist in Deutschland nicht erlaubt. In speziellen Fällen macht die Justiz in Bayern jedoch Ausnahmen.

Informationen zum biologischen Alter dürfen hingegen gewonnen werden, auch wenn das nicht über die SNP-Marker analysiert werden kann. Zur Altersbestimmung nutzt man die Kenntnis, dass unsere DNA im Laufe der Zeit chemischen Veränderungen (Methylierungs-/ Demethylierungsreaktion v. a. an Cytosin in CpG-Dinukleotiden in Promoterregionen bestimmter Gene) unterliegen. Anhand dieser Veränderungen (dem Methylierungsmuster) kann in einer Altersspanne von 20–60 Jahren das biologische Alter von gesuchten Personen auf eine Genauigkeit von etwa fünf Jahren abgeschätzt werden. Bei jüngeren und älteren Menschen ist das Verfahren aufgrund von Wachstum oder vermehrtem Auftreten von Krankheiten zu störanfällig.

Keine Aussagen liefert die Phänotypisierung hinsichtlich der Körpergröße oder des Haarverlusts.

DNA-Profiling

Beim DNA-Profiling werden bis zu 20 Genabschnitte mit typischen Wiederholungseinheiten (STRs) analysiert. Dieser genetische Fingerabdruck wird dann mit Datensätzen aus einer Datenbank verglichen. Die gesuchte Person kann aber nur ermittelt werden, wenn ihre Daten aufgrund von älteren Straftaten in der Datenbank hinterlegt sind. Auch wenn es auf den ersten Blick wie Zufall erscheint, ob TäterInnen in einer Datenbank zu finden sind, so sind die Erfolge beachtlich: In etwa einem Drittel der untersuchten Fälle, waren TäterInnen bereits in der Datenbank erfasst. Das BKA verfügte 2020 über 870 000 Datensätze, das FBI über 14 Millionen!

Doch was, wenn die gesuchte Person nicht in der Datenbank zu finden ist? Und eine Phänotypisierung keine hilfreichen Daten liefert?

Forensische DNA-Genealogie

In solchen Fällen kann über Daten von biologischen Verwandten auf gesuchte Person rückgeschlossen werden. In einigen europäischen Ländern ist es bereits erlaubt, die Daten aus Ahnenforschungsdatenbanken für forensische Untersuchungen zu verwenden. Anbieter wie MyHeritage, FamiliyTreeDNA, AncestryDNA und andere verkaufen eine für deutsche Verhältnisse sehr spezielle Dienstleistung: Für etwa hundert Euro kann man auf Basis der eigenen DNA einen Stammbaum erstellen lassen, der viele Generationen zurückreicht. Wie im Film, per Wattestäbchen-Probe.

Nicht nur in den USA, wo sich mehr als 35 Millionen Menschen zur Ahnensuche per DNA-Vergleich entschlossen haben, sondern auch in Schweden und der Niederlande findet die Genealogie viele Fans. Dabei dürfte den meisten Menschen nicht klar sein, wie weitreichend sich genetische Informationen zurückverfolgen lassen. Wären die Sequenzen von nur einem Prozent der US-Amerikaner in der Datenbank, wären in Europa 90 Prozent der Verwandten dritten Grades darüber identifizierbar.

Die Suche nach der Identität von TäterInnen oder unidentifizierten Opfern wird durch die forensische Genealogie enorm erleichtert. Aber wie kommen die ErmittlerInnen von einem Datensatz zum anderen? Man muss sich die Verwandtschaftsbeziehungen wie einen Apfelbaum mit vielen großen und kleineren Ästen vorstellen. Die Suche ist wie der Weg von einem Apfel zu einem anderen im Baum.

Wenn man über die Datenbank eine Übereinstimmung zwischen der gesuchten Person und einer durch einen Datensatz bekannten gefunden hat, geht man ausgehend von der bekannten Person – dem Apfel den Baum rückwärts, von der Krone Richtung Stamm. Auf diesem Wege werden sich beide Datensätze genetisch immer ähnlicher. Irgendwann hat man so gemeinsame Vorfahren – einen gemeinsamen Ast – ermittelt und bewegt sich dann vorwärts bis zum Kreis der engsten Verwandten. Da die gesuchte Person – der zweite Apfel – selbst nicht in der Datenbank gelistet ist, liefert die Datenbank natürlich nur die nächsten Verwandten. Den Rest übernimmt die Polizei per Handarbeit. Geburtsregister, Meldeämter, Kirchenverzeichnisse und ähnliches geben Aufschluss über den engsten ermittelten Kreis um die gesuchte Person.

Wenn es um die Aufklärung von Verbrechen geht, wird es die Mehrheit der Bevölkerung wahrscheinlich durchaus in Ordnung finden, genetische Informationen zu Hilfe zu nehmen. Menschen, die endlich abschließen können mit quälenden Fragen, wenn TäterInnen gefunden oder Opfer identifiziert wurden. Familien, die Angehörige wiederfinden, die auf tragische Weise von ihnen getrennt wurden, Kinde, die ihre leiblichen Eltern kennenlernen können. Dieselben Daten jedoch in den Händen von rassistischen Fanatikern wären ein Albtraum. Auch diesen Fall gilt es zu bedenken.


Literatur:

  1. B. Brinkmann, Forensische DNA-Analytik, Dtsch. Aerztebl., 101 (34-35): 2329-2334, 2004.
  2. P. Schneider et al., The use of forensic DNA phenotyping in predicting appearance and biogeographic ancestry, Dtsch. Aerztebl. Int., 116: 873-880, 2019.
  3. M. Rauner, Schaurige Verwandtschaft, Zeit Wissen, 2/2021.
  4. https://geneticgenealogygirl.com/de/ (aufgerufen am 18.11.2022)

Element des Monats August: Quecksilber

Quecksilber ist zweifellos eines der bekanntesten Elemente des Periodensystems. Lange geliebt, oft bewundert, gebraucht und missbraucht, und heute schließlich verpönt, blickt das „flüssige Silber“ auf eine lange und enge Bindung zur Menschheit zurück.

silbern-glänzende Quecksilber-Tropfen
Elementares Quecksilber (Quelle: Fotolia.com)

Schon in seinem Namen offenbart das Element Quecksilber seinen sonderbaren Charakter: Das chemische Symbol Hg steht für Hydragyrum (griechisch:  Wassersilber) und wurde auch als Argentum vivum, als lebendiges Silber bezeichnet. Im Englischen wird es neben Mercury auch Quicksilver – schnelles Silber – genannt.

Ungewöhnliche Eigenschaften

Wer schon einmal gesehen hat, wie kleine Kügelchen des glänzenden Metalls auf glatten Oberflächen fließen, der wird den Namen flüssiges Silber nur allzu treffend finden. Quecksilber ist das einzige Metall, das bei Raumtemperatur in flüssigem Zustand vorliegt. Es bildet in elementarer Form silbern glänzende Kugeln, die beim Aneinanderstoßen miteinander verschmelzen. Der bei Raumtemperatur flüssige Zustand ist tatsächlich ein absolutes Alleinstellungsmerkmal. Metalle, insbesondere glänzende Edelmetalle, sind gewöhnlich erst bei mehreren Hundert, oft sogar erst über 1000 °C flüssig.

Der Aggregatzustand ist jedoch nicht die einzige Absonderlichkeit, die Quecksilber zu bieten hat. Aufgrund der hohen Oberflächenspannung fließt es über glatte Flächen, ohne diese zu benetzen. Eine Flüssigkeit, die keine Flecken hinterlässt.  Auch die hohe Dichte der Flüssigkeit überrascht: ein Liter Quecksilber wiegt fast 15 kg! Heute werden ungewöhnliche physikalische Eigenschaften jedoch nicht mehr mystifiziert, sondern nüchtern erklärt. Was das Interesse an ungewöhnlichen Elementen jedoch nicht schmälert. Mit der Ordnungszahl 80 gehört Hg zu den schweren Elementen, auf die sich relativistische Effekte besonders stark auswirken. Aufgrund der Lanthanoiden-Kontraktion ist die hohe Kernladung weniger effektiv abgeschirmt als bei den leichteren Homologen der Gruppe 12. Besetzte Orbitale, wie auch das Valenzband liegen deshalb im Vergleich zu Zn und Cd näher am Kern, was das Fermi-Niveau absenkt und die Bandlücke vergrößert. Daraus resultieren eine schwache Metall-Metall-Bindung, schlechte elektrische Leitfähigkeit und eine vergleichsweise hohe Flüchtigkeit. Rechnerische Analysen zeigen, dass die Auswirkung relativistischer Effekte den Schmelzpunkt von Hg um etwa 100 Kelvin erniedrigen.

1911 entdeckte der niederländische Forscher Heike Kamerlingh Onnes eine andere wirklich großartige Eigenschaft des Quecksilbers. Das Metall, das bei Raumtemperatur den elektrischen Strom eher schlecht leitet, wird beim starken Abkühlen mit flüssigem Helium auf -269 °C zum perfekten Leiter. Mit der Entdeckung der Supraleitfähigkeit tat sich ein Forschungsfeld auf, das auch heute noch viele WissenschaftlerInnen umtreibt.

Früh gekannt, in Fülle genutzt… Schon in der Antike kannte und nutze man gelbe und rote quecksilberhaltige Pigmente (HgO und HgS). Sehr hohe Quecksilber-Konzentrationen wurden in Mayastätten wie Tikal gefunden. Es ist erwiesen, dass das Quecksilber aus dem roten Zinnober (HgS) ins Trinkwasser freigesetzt wurde.

Qin Shi Huang, der erste Kaiser Chinas, 259-210 v. Chr. (Quelle: J. Clements,
The First Emperor of China, Sutton Publishing, Cheltenham 2006.)

Der Legende nach soll es im Grabmal des ersten chinesischen Kaisers Flüsse aus Quecksilber gegeben haben, die die Weltmeere symbolisieren sollten. Ob die Legende stimmt, oder ob sich die Überlieferungen damit vermischen, dass der größenwahnsinnige Kaiser den Tod mit quecksilberhaltigen Zaubertränken überwinden wollte, ist unklar. Fakt ist jedoch, dass er das „Elexier der Unsterblichkeit“ kaum überleben hätte können. Denn: nahezu alle Quecksilberverbindungen sind hoch toxisch. Um das Jahr 1000 gab es in den Palästen der Kalifen in mehreren arabischen Städten mit Quecksilber gefüllte Becken oder Springbrunnen, die für das Spiel mit Lichtwirkungen genutzt wurden, auch über Quecksilber-Bäder wird berichtet.

Hg in der Medizin- ein Teufelszeug der Alchemisten?

Ab dem Mittelalter hielt man es jahrhundertelang für gute medizinische Praxis, allerlei Krankheiten mit Quecksilber oder Quecksilberverbindungen zu behandeln. Paracelsus wandte HgCl2-Lösungen als Abführmittel an und behandelte Syphilis mit quecksilberhaltigen Salben. In seinen Lehren wird dem Quecksilber eine zentrale Rolle zugeschrieben, denn zusammen mit Schwefel und Salz als sog. nicht-stoffliche Elemente baut es den menschlichen Körper auf. Schwefel symbolisiert das Brennbare, die Seele, das Quecksilber die Flüchtigkeit, der Lebens-Geist und das Salz das Beständige, den Körper selbst. Durch Ungleichgewichte zwischen den Dreien entstehen nach alchemistischer Auffassung Krankheiten, die durch Gabe des fehlenden Stoffes ausgeglichen wurden.  

Paracelsus, 1493-1541 (Quelle: Pharmaziemuseum der Universität Basel)

Wer denkt, dass Quecksilber nur Alchemisten, Mittelalter-Quacksalbern und Badern vorbehalten war, der fehlt. Auch in der modernen Medizin hat Quecksilber eine Verwendung, wenngleich die Anwendung und vor Allem auch die Dosierung mittlerweile stark reduziert sind. Bis 2003 wurde das Antiseptikum Mercurochrome vermarktet, das wie der Name schon sagt, Quecksilber enthielt. Auch Zahnfüllungen aus Amalgam waren bis vor einigen Jahren Standard. Amalgame sind Legierungen des Quecksilbers, bei Zahnfüllungen beträgt der Hg-Gehalt stolze 60 %. Wie genau sich die intermetallischen Verbindungen im Laufe der Zeit verändern ist nicht genau bekannt. Geklärt ist hingegen, dass es sich beim Hauptbestandteil der Dentalfüllungen um die Phase Ag2Hg3 handelt. Auf Beschluss der EU-Kommission wird die Verwendung von zahnärztlichem Amalgam seit Juli 2018 jedoch minimiert, bis 2030 soll über ein evtl. Verbot entschieden werden. Aktuell stecken in den Mündern von EU-Bürgern aber noch 1.300 bis 2.200 Tonnen des giftigen Metalls und ein durchschnittlicher Erwachsenenkörper enthält, ohne Zahnfüllungen, etwa 6 g Hg.

Obwohl in den westlichen Ländern ein erhöhtes Bewusstsein für die Giftigkeit des Quecksilbers existiert, herrscht weitgehend Stillschweigen über die Emissionsquellen. 20 % des weltweit durch menschliche Aktivitäten emittierten Quecksilbers fallen allein als Abfallprodukt bei der Verbrennung von Kohle zur Stromerzeugung an. In Deutschland sind das jährlich etwa 7 Tonnen Quecksilber! Auch durch Müllverbrennung und Vulkanausbrüche wird das Metall freigesetzt. Global gelangen jährlich bis zu 30 Tonnen Hg in die Atmosphäre, werden irgendwann abgeregnet und reichern sich in Gewässern an. Über Algen und Fische landet das Metall schließlich dann auf unseren Tellern. Einige Fische, wie z. B. Thunfisch, Hecht oder Hai enthalten besonders viel Quecksilber. Diese hohen Konzentrationen schädigen die Tiere selbst wohl deshalb nicht, weil sie ebenso hohe Konzentrationen von Selen enthalten. Selen hat eine hohe Hg-Affinität und wirkt somit als Quecksilber-Antagonist.

Macht wirklich nur die Dosis das Gift?

Die Toxizität von Quecksilber sollte nicht pauschalisiert werden. Es kommt nämlich nicht nur auf die Dosis, sondern auch darauf an, wie und in welcher Form das Schwermetall aufgenommen wird.

„Little Willie from his mirror
Licked the mercury right off,
Thinking in his childish error,
It would cure the whooping cough.
At the funeral his mother
Brightly said to Mrs. Brown:
`Twas a chilly day for Willie
When the mercury went down.´”

(Harry Graham, Ruthless Rhymes for Heartless Homes, 1899)

Quecksilber kommt in Dentalfüllungen vor, in elektrischen Schalter, in Leuchtstoffröhren, in Xenon-Scheinwerfern, in Energiesparlampen, bei der Chlor-Alkali-Elektrolyse und beim Gold-Abbau z. B. in Peru oder auf den Philippinen.

Elementares Quecksilber ist ungeladen und oberhalb von -39 °C flüssig. Wie alle Flüssigkeiten kann auch das Metall langsam verdampfen und wird so über die Atemwege aufgenommen. Viel gefährlicher sind allerdings die Quecksilber-Dämpfe, die bei Erhitzen des Metalls entstehen. Seit 2011 gilt ein MAK-Wert (Maximale Arbeitsplatz-Konzentration) von 0,02 mg Hg/m³ Luft, die Resoptionsrate liegt bei 80 %.

Quecksilber passiert die Blut-Hirn-Schranke und ruft bei hohem Dosen Schädigungen des zentralen Nervensystems hervor. Akute Vergiftungserscheinungen sind Atemnot, Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Zittern, Orientierungslosigkeit und Krämpfe. Bei chronischer Exposition manifestieren sich die neurokognitiven Störungen, Schädigungen vor allem des Gehirns können irreversibel sein.

Als anorganisches Quecksilber wird meist das zweiwertige Kation bezeichnet, obwohl Quecksilber auch in der Oxidationsstufe +I auftreten kann. Aufgrund der Elektronenkonfiguration 5d106s2 ist vor allem die Oxidationsstufe +II stabil. Einwertiges Hg wird durch die Ausbildung von Hg-Hg-Bindungen stabilisiert. In Salzen kommen typischerweise [Hg-Hg]2+-Hanteln vor.

Quecksilbervergiftungen kommen heutzutage fast immer über Kontakt mit gelösten Quecksilbersalzen oder Quecksilberverbindungen vor. Oral oder über die Haut aufgenommen, akkumuliert das Metall in Niere und Leber, verursacht nach Verschlucken Darmschädigungen und ruft die gleichen Vergiftungserscheinungen hervor, wie elementares Quecksilber. Allerdings beträgt die Resorption bei oraler Aufnahme nur etwa 10 %, die letale Dosis liegt bei etwa 1 Gramm. Nochmals höhere Werte gelten für die subkutane Aufnahme.

Bereits im 18. Jahrhundert kannte man das Krankheitsbild des Erethismus mercurialis, des Hutmachersyndroms. Hutmacher waren berufsbedingt täglich hohen Hg-Konzentrationen ausgesetzt, weil Felle und Filze mit Quecksilbersalzlösungen behandelt wurden. Auch der verrückte Hutmacher aus Alice im Wunderland (Lewis Carrol 1865) wird als leicht reizbare Person mit ständig wechselnden Stimmungslagen beschrieben. Bis in die 90-er Jahre waren HgCl-haltige Vaginalzäpfchen auf dem Markt, die der Empfängnisverhütung dienten. Die Wirkung als Spermizid beruht auf der Hohen Bindungsaffinität des Quecksilbers zu Schwefel und damit zu SH-Gruppen in Proteinen. Auch eine Schädigung der DNA wird beschrieben.

Als organisches Quecksilber sind vor allem die Verbindungen Methylquecksilber (MeHg+) und Dimethylquecksilber (Me2Hg) von Bedeutung. Ihre Toxizität ist seit 1863 bekannt. Es liegt eine hohe Resorption der Verbindungen über die Atemwege und die Verdauungsorgane vor. Methylquecksilber entsteht durch mikrobielle Methylierung z. B. aus natürlichen Quecksilbervorräten im Meeresboden. Bereits kleine Dosen sind sehr giftig und verbleiben über Jahrzehnte im Körper. Methylquecksilberverbindungen erlangten in den 50-er Jahren traurige Berühmtheit, weil sie im japanischen Minamata das Grundwasser vergifteten. Verantwortlich für die Umweltkatastrophe, die Tausenden von Menschen das Leben kostete, war eine Chemiefirma, die ihr Abwasser in die Flüsse leitete.

Um Vergiftungen zu vermeiden, werden im kritischen Expositionsfall als Quecksilberfänger sog. Mercaptane eingesetzt. Schwefelhaltige Komplexliganden wie 2,3-Dimercapto-1-propansulfonsäure (DMPSO) und meso-2,3-Dimercaptobernsteinsäure binden Hg und beschleunigen die Ausscheidung. Hierbei wird die Bindungsaffinität zu Schwefel ausgenutzt. Auch selenhaltige Präparate sind wirkungsvoll.

Obgleich heute alles Mystische und Kuriose über das einst so rätselhafte Element aufgeklärt ist, scheint ein böser und unheilvoller Schatten um das Element geblieben zu sein. Immer wieder wird Quecksilber in verquere Zusammenhänge verstrickt. Der Hg-haltige Konservierungsstoff Thiomersal in früheren Impfstoffen soll Autismus bei Kindern hervorrufen und auf alternativmedizinischen Internetseiten wie z. B. Zentrum der Gesundheit finden sich allerlei merkwürdige Präparate zur Ausleitung von Quecksilber im Körper. Eine Korianderkur ist zwar sicherlich nicht schädlich, jedoch gibt es keinerlei Belege für die Wirksamkeit und es impliziert, dass der Umgang mit ernst zu nehmenden Vergiftungen laienhaft betrieben werden kann.


Literatur:

  1. F. Calvo et al, Evidence for Low-Temperature Melting of Mercury owing to Relativity, Angewandte Chemie International 52, 2013.
  2. H. Dopsch, Paracelsus – Arzt, Philosoph oder Goldmacher? In: U. Müller und W. Wunderlich, Künstler, Dichter, Gelehrte. Mittelalter-Mythen. Band 4. UVK, Seite 950 ff, Konstanz 2005.
  3. W. Heinz: Die gelehrte Medizin zwischen Mittelalter und Humanismus. Wo steht Paracelsus? In: A. Classen: Paracelsus im Kontext der Wissenschaften seiner Zeit. Kultur- und mentalitätsgeschichtliche Annäherungen.,S. 151–174, Berlin 2010.
  4. MAK Value Documentation in German language, Quecksilber und anorganische Quecksilberverbindungen, 2002.
  5. https://www.institut-seltene-erden.de/seltene-erden-und-metalle/strategische-metalle-2/quecksilber
  6. C. Hoch, Mein Lieblingselement: Quecksilber, Nachrichten aus der Chemie 67: 54-60, 2019.
  7. T. Syversen, P. Kaur; Die Toxizität des Quecksilbers und seiner Verbindungen, Perspectives in Medicine 2:133-150, 2014.
  8. https://www.uni-heidelberg.de/presse/news2013/pm20130827_quecksilber.html
  9. https://www.srf.ch/kultur/kunst/kaiser-qin-reformen-quecksilber-und-8000-terrakotta-krieger