Zur Beurteilung von Studien – eine weitere Handlungsempfehlung

Wer wissenschaftlich seriös erscheinen will, argumentiert mit Studienergebnissen. Oft bleibt es leider bei der reinen Behauptung „Studien haben ergeben…“. Um die Plausibilität dieser Studien zu beurteilen, braucht es zwar tiefes Fachwissen, jedoch kann man sich schon anhand von einigen Rahmen-Parametern ein Bild darüber verschaffen, ob es sich um echte Forschungsergebnisse oder um Aufmerksamkeitsheischerei handelt.

Studien sind verschriftlichte Forschungsberichte zu einem bestimmten Thema. Sie erscheinen als Publikationen in wissenschaftlichen Fachjournalen wie z. B. Science, Nature oder The Lancet. Für jeden wissenschaftlichen Bereich gibt es Hunderte von Fachzeitschriften. Nicht in allen wissenschaftlichen Bereichen wird explizit der Begriff „Studie“ verwendet. Speziell in den Naturwissenschaften spricht man eher von Publikationen. Trotzdem wird im Folgenden der Einfachheit halber der Begriff Studie verwendet, auch wenn nicht immer von Fallstudien die Rede ist. Eine Studie ist immer ein kleiner, aber sehr detaillierter Beitrag zu einer konkreten Fragestellung. Große Zusammenhänge wie z. B. der menschengemachte Klimawandel werden keinesfalls in einer einzigen Studie betrachtet. Die Forschungsergebnisse zu solch umfassenden Themen setzen sich wie ein Puzzle aus unzähligen Studien zu einem Gesamtbild zusammen.

Von der Forschung bis zur Veröffentlichung

Forschung findet in Deutschland nicht nur an den Universitäten, sondern auch an (staatlich geförderten) Instituten wie z. B. den Fraunhofer-Instituten oder den Max-Planck-Instituten statt. Ein relevanter Teil der Forschung wird auch direkt von der Industrie betrieben.

Wer seine Forschungsergebnisse veröffentlichen will, muss sich an eine Fachzeitschrift, ein sog. Journal wenden und seine fertige Studie dort einreichen. Passt das Thema und sind die Ergebnisse auf den ersten Blick plausibel und ausreichend, wird die Studie angenommen. Es ist aber auch möglich, dass sie abgelehnt wird.

Hat das Journal Interesse an einer Publikation, beginnt die Begutachtungsphase, das Peer-Review-Verfahren. Als GutachterInnen werden mehrere ExpertInnen eingesetzt, die zu sehr ähnlichen Forschungsgebieten forschen und sich mit den Mess- und Analysenmethoden sehr gut auskennen. Sie prüfen die Studie auf inhaltliche und formale Fehler und geben dann anonym Rückmeldung, was evtl. verbessert oder nochmals überprüft werden muss. Das Review-Verfahren kann mehrere Durchläufe umfassen und wird erst beendet, wenn die externen GutachterInnen keine Fehler mehr beanstanden. Dann wird die Studie von der Zeitschrift akzeptiert und veröffentlicht. Sie erscheint als Publikation, auch Paper genannt, im Print- und/oder Online-Format.

Studien sind also immer öffentlich zugänglich. Über die Suchmaschine https://scholar.google.de/ oder über Portale wie https://www.researchgate.net/ oder https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/ (für medizinische oder pharmazeutische Forschungsbereiche) hat jedeR Zugang zu den begutachteten Publikationen. Manchmal ist der Zugang zur kompletten Studie jedoch kostenpflichtig, während die Zusammenfassung, der sog Abstract, immer kostenfrei lesbar ist. Weil das Begutachtungsverfahren mehrere Wochen bis Monate dauern kann und in populären Forschungsbereichen hoher Konkurrenzdruck herrscht, ist es dort üblich, die Ergebnisse schon vor Abschluss des Verfahrens auf sog. Pre-Print-Servern zu veröffentlichen. Wie der Name schon sagt, handelt es sich aber um nicht offiziell veröffentlichte Ergebnisse, von denen man nicht einmal weiß, ob sie überhaupt jemals veröffentlicht werden. Diese Pre-Prints sind zur Einsicht für KollegInnen bestimmt, und für fachfremde Leserschaft ungeeignet. Es ist nicht anzuraten, diese Informationen zu Handlungsempfehlungen oder Argumentationshilfen heranzuziehen.

Wie ist eine Studie aufgebaut?

An eine wissenschaftliche Publikation werden hohe Qualitätsanforderungen gestellt. Ob diese immer erfüllt sind, ist für Laien nicht zu beurteilen. Jedoch kann man sich anhand des Aufbaus einer Studie einen Eindruck verschaffen, ob die übliche Form eingehalten wurde.

Nach dem Titel werden die AutorInnen mit Angabe der Forschungseinrichtungen und Kontaktdaten aufgelistet. Hier werden alle beteiligten Personen aufgeführt, die zur Studie beigetragen haben. Im Abstract zur Publikation werden die Ergebnisse in wenigen Sätzen zusammengefasst, damit LeserInnen zu Beginn wissen, ob die Studie für sie relevant ist.

Beispiel einer ersten Seite einer naturwissenschaftlichen Studie
Beispiel der ersten Seite einer naturwissenschaftlichen Studie

Im ersten Abschnitt der eigentlichen Publikation, der Einleitung, wird das Thema vorgestellt und der Forschungsbeitrag in die bisherigen Erkenntnisse eingeordnet.

 Im zweiten Abschnitt werden dann die Ergebnisse präsentiert und im dritten Abschnitt schließlich ausführlich diskutiert. Die Ergebnisse werden übersichtlich in Tabellen und Abbildungen dargestellt, um den Überblick über meist große Datenmengen zu erleichtern. In der Diskussion setzen sich die AutorInnen kritisch mit den Ergebnissen auseinander, weisen auch auf Widersprüche und Limitationen hin.

Anschließend wird im Experimentellen Teil oder Methodenteil beschrieben, welche Mess- oder Rechenmethoden angewendet wurden, je nach Thema ist auch eine Fehlerbetrachtung nötig. Hier wird sehr transparent Auskunft über alle verwendeten Hilfsmittel, auch über verwendete Computersoftware gegeben. Damit ist sichergestellt, dass die erhaltenen Ergebnisse auch von anderen reproduziert werden können.

Im letzten Teil einer Publikation werden Schlussfolgerungen gezogen. Oft wird hier auch ein Ausblick in laufende oder zukünftige Forschungsarbeiten formuliert.

Am Ende der Studie stehen oft Danksagungen oder Hinweise auf Interessenskonflikte und schließlich die meist sehr lange Literaturliste, eine Aufzählung von anderen Forschungsarbeiten, die für die eigene Arbeit grundlegend sind oder aus denen zitiert wurde. Die Literaturliste umfasst nicht selten mehr als hundert Verweise. Alle sind durch hochgestellt Nummern im Text gekennzeichnet, damit nachvollzogen werden kann, warum die jeweiligen Literaturstellen angegeben wurden.

Der Versuch einer Qualitätsbeurteilung

Eine Studie nach ihren formalen Kriterien zu beurteilen, kann eigentlich jeder. Schwieriger ist die Beurteilung der Qualität. Das obliegt eigentlich nur Fachleuten. Trotzdem gibt es Kennzahlen und einige Fachbegriffe, die zumindest Orientierung geben können.

Eine bekannte, aber oft falsch verwendete Kennzahl ist der sog. Impact-Faktor. Er berechnet sich aus der Anzahl der Zitate auf Publikationen eines Journals im Verhältnis zur Gesamtzahl der erschienenen Publikationen im selben Zeitraum. Der Impact-Faktor wird oft als Qualitätsmerkmal getreu dem Motto „viel zitiert heißt heiß geliebt“ benutzt, was zu Missverständnissen führt. Zum einen bezieht sich der Faktor auf eine Fachzeitschrift und nicht auf Personen und zum anderen lässt er keine Vergleiche zwischen den Fachgebieten zu. In populären Wissenschaftszweigen wie z. B. der Krebsforschung wird um ein Vielfaches mehr publiziert als beispielsweise in experimenteller Astrophysik.

Eine weitere Kennzahl ist der Hirsch-Index, der personenbezogen berechnet wird. Er beschreibt, wie häufig ein Wissenschaftler oder eine Wissenschaftlerin zitiert werden. Auch dieser Zitationsindex ist stark von der Popularität eines Forschungsgebietes und vom Renommee der Forschenden abhängig.

Studien aus der medizinischen oder pharmazeutischen Forschung

Medizinische oder pharmazeutische Forschung beschäftigt sich oft mit der Entstehung von Krankheiten und der Wirksamkeit von Heilmitteln. Um das zu untersuchen, kann man Beobachtungsstudien oder Interventionsstudien durchführen. Beobachtungsstudien können z. B. als Kohortenstudien vorgenommen werden. Z. B. kann das Auftreten einer Krankheit oder die Ermittlung eines Risikofaktors im zeitlichen Verlauf durch Beobachtung einer Gruppe von Versuchspersonen ermittelt werden. Diese Studien werden fast immer begleitend, selten auch rückblickend durchgeführt. Fall-Kontroll-Studien hingegen ziehen meist retrospektive Vergleiche. Zu jedem (Krankheits-) Fall existiert ein gesunder Kontrollfall, das Auftreten der Krankheit wird dann durch Vergleich erforscht.

Interventionsstudien sind Studien, bei der Wirkstoffe oder therapeutische Maßnahmen verordnet werden. Im Idealfall gibt es auch hier eine Kontrollgruppe, die ein Placebo erhält. Das Studiendesign ist sinnvollerweise doppelt verblindet, d. h. weder die Behandelnden noch die StudienteilnehmerInnen wissen, ob sie der Fall- oder der Kontrollgruppe angehören. Die Zuordnung zu einer der beiden Gruppen sollte nach dem Zufallsprinzip, d. h. randomisiert erfolgen.

Schwächen klinischer Studien

Schwierigkeiten in klinischen Studien ergeben sich oft aus der Gruppengröße, die der Untersuchung zugrunde liegt. Wird beispielsweise durch eine Interventionsstudie untersucht, ob ein neues Medikament gegen Bluthochdruck wirksam ist, so wird für den reinen Test der Wirkung eine kleinere Personengruppe genügen, weil der Effekt in zeitlich überschaubarem Rahmen und eindeutig messbar ist. Wird jedoch die Wirksamkeit von täglichem Meditieren auf den Blutdruck untersucht, ist der Effekt schwächer. Deshalb muss auch die Personengruppe vergrößert werden, um sichere Aussagen über die Wirksamkeit treffen zu können. Ein Qualitätsmerkmal von Studien im medizinisch-pharmazeutischen Bereich ist das ausgewogene Verhältnis von Gruppengröße und Effektstärke der Intervention.

Ein weiteres wichtiges Qualitätsmerkmal ist der Ausschluss von Störfaktoren, die z. B. die Messung der Wirksamkeit beeinflussen. In der oben genannten Studie zur Wirksamkeit eines Blutdrucksenkers, würde das Messergebnis verfälscht werden, wenn in der Testgruppe mehr RaucherInnen wären als in der Kontrollgruppe. Die Vermeidung von solchen Confoundern klingt in diesem Beispiel banal, manchmal kennt man aber noch gar nicht alle Risikofaktoren und kann nicht auf den ersten Blick abschätzen, ob man eine unentdeckte Verzerrung oder einen tatsächlichen Effekt beobachtet.

Tatsächlich ist es leider so, dass Forschung lange dauert und sehr kleinteilig arbeitet. Bahnbrechende Erkenntnisse ergeben sich sehr selten aus einzelnen Studien. Es ist eher so, dass eine Vielzahl von Untersuchungen mit der Zeit erst eine echte Sicherheit bringt.


Literatur:

  1. W. Stock, The inflation of impact factors of scientific journals, Chem Phys Chem. 10 (13): 2193-2196, 2009.
  2. M. Schumacher, G. Schulgen, Methodik klinischer Studien. Methodische Grundlagen der Planung, Durchführung und Auswertung. 3. Auflage. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg 2009.
  3. R. Müller-Waldeck, Confounding – und wie man damit umgeht, Ärztl. Journal, Serie: Studien verstehen Teil 3, 2019.  

Wie kann man verlässliche wissenschaftliche Informationen erkennen? Eine Handlungsempfehlung

Information von Desinformation zu unterscheiden, ist nicht immer trivial. Dieser Beitrag gibt einen Überblick darüber, was jede(r) tun kann, um mehr Sicherheit bei der Einordnung von Informationen zu erlangen.

Nicht jeder Falschinformation liegt eine böse Absicht zugrunde. Gerade bei wissenschaftlichen Themen, die in den Bereichen Life Sciences, Gesundheit und Klimawandel sehr populär sind, werden Informationen oft generalisiert oder so stark vereinfacht, dass die falschen Schlüsse daraus gezogen werden. Im Falle von Fake News steckt jedoch eine Absicht hinter der Verbreitung von falschen Informationen. Diese können finanzieller oder ideologischer Natur sein. Fake News sind immer Meldungen, die stark emotionalisieren, polarisieren, und bei LeserInnen oft ein Überraschungsmoment auslösen, was dazu führt, dass die Nachricht schnell geteilt wird.

Bei vielen Berichten ist es für fachfremdes Publikum jedoch schwer zu entscheiden, ob es sich um verlässliche Informationen handelt oder nicht und kann in manchen Fällen tatsächlich nur von ExpertInnen beurteilt werden. Trotzdem gibt es einige Stolperfallen für Falschinformationen, die man nacheinander checken kann:

  1. ExpertInnenstatus prüfen

Recherchiere die AutorInnen oder HerausgerberInnen des Beitrags sowie die ExpertInnen, die genannt werden. Es kommt oft vor, dass angepriesene ExpertInnen nie zum jeweiligen Thema publiziert haben. Auf der Suchmaschine Google Scholar findest du durch eine einfache Namenssuche alle wissenschaftlichen Veröffentlichungen von genannten Personen.

https://scholar.google.de/

2. Achte auf fragwürdige Institutionen

Nicht immer, wenn die Begriffe Institut oder Akademie im Namen enthalten sind, handelt es sich um etablierte Forschungseinrichtungen. Sieh dir die Website an.

3. Achte vor allem im medizinischen Bereich auf Verkaufsangebote.

Wird dir z. B. beim Lesen eines Artikels über die Struktur von Wasser ein Gerät zur Herstellung von vermeintlich heilsamem Wasser angeboten, spricht das eindeutig gegen die Seriosität deiner Quelle.

4. Achte auf den Kontext, indem deine Information steht. Bei Büchern kann das der Verlag sein, bei fachlichen Publikationen das sog. Journal. Schau dir an, wer und was dort sonst noch veröffentlicht wird, um einzuschätzen aus „welcher Ecke“ deine Information kommt.

Das Buch “Corona Fehlalarm?” von K. Reiss und S. Bhakdi z. B. wurde im Goldegg Verlag veröffentlicht. Auf der Website des Verlags findet man zum Thema Gesundheit u. A. Bücher mit den Titeln „Gesundgevögelt in 12 Wochen“ oder „Einmal sterben und zurück. Wie man seinen eigenen Tod überlebt und das Herz neue Adern wachsen lässt“.

5. Achte auf die Stilistik deines Beitrags, besonders auf Emotionalisierung und Generalisierung.

Wissenschaftliche Erkenntnisse werden neutral und präzise präsentiert. Aussagen wie „Wlan permanent, auch nachts den Router an – sagen wir mal eine zerstörerische Frequenz“ (P. Zebergs im Youtube-Video zu „Zelltuning mit Hochfrequenz“ auf dem Kanal von QS24.TV) sind zutiefst unwissenschaftlich.

6. Achte darauf, ob Quellen angegeben werden. Wenn ja, mache dir die Mühe und schau sie dir an. Sind das wissenschaftliche Fachartikel? Wird dort die übermittelte Information auch so präsentiert oder kommt das Schlüsselwort einfach nur vor und die Botschaft ist eine ganz andere? Der Punkt der Quellenrecherche ist zeitaufwändig, aber es kommt tatsächlich oft vor, dass WissenschaftlerInnen falsch oder gar missbräuchlich zitiert werden.

Im Fall des oben angeführten „hexagonalen Wassers“ wird immer wieder ein Wissenschaftler aufgeführt, der zwar zum Thema Wasser publiziert hat, jedoch in ganz anderem Zusammenhang.

7. Wenn Abbildungen dargestellt werden, schau dir an, ob schlüssig ist, was daraus hervorgehen soll. Wird das Dargestellte erklärt? Ist eine Legende angeführt, d. h. ist ersichtlich welche Informationen dargestellt sind? Sind die Achsen beschriftet? Es ist nicht selten, dass sinnlose Abbildungen dem Beitrag einen wissenschaftlichen Anstrich geben. Es kommt auch oft vor, dass Abbildungen einfach kopiert werden, ohne die Quelle zu nennen. Oft passt dann auch der Kontext nicht richtig und es können falsche Schlüsse gezogen werden.

8. Wenn du dir trotz reichlicher Prüfung nicht sicher bist, höre dir die Gegenmeinung an und stelle auch dort eine Faktenanalyse an.

Gute Recherche ist ziemlich viel Arbeit. Zum Glück gibt es Fachleute, die das zum Teil schon übernommen haben. Schau gerne mal vorbei:

https://correctiv.org

https://mimikama.at

https://www.mdr.de/wissen/faktencheck/index.html

https://www.quarks.de/science-cops/

https://www.dw.com/de/faktencheck/t-56578552

https://www.swr3.de/aktuell/fake-news-check/index.html

Wissenschaftsjournalismus während und nach der Coronapandemie – Herausforderungen und Chancen

Die Coronapandemie geht mit einem unvergleichbaren medialen Weltereignis einher. Nie war das öffentliche Interesse an wissenschaftlichen Erkenntnissen größer und nie wurden auf vergleichbare Weise Handlungsempfehlungen aus wissenschaftlichen Erkenntnissen gewonnen. Durch das enorme öffentliche Interesse haben sich Schwierigkeiten und Chancen in der Entwicklung des Wissenschaftsjournalismus konkretisiert.

WissenschaftsjournalistInnen stehen im Informationsfluss zwischen Forschung und Öffentlichkeit. Um ihre Rolle zu verstehen und die Qualität des Wissenschaftsjournalismus zu beurteilen, muss auch die Wissenschaftskommunikation (generelle Kommunikation der Forschenden) insgesamt und die Öffentlichkeit als Auditorium beleuchtet werden.

Die Öffentlichkeit als fachfremdes Auditorium

Bei der Betrachtung der Öffentlichkeit wird dabei im Folgenden davon ausgegangen, dass diese selbst fachfremd ist. Die erste Frage, der nachgegangen werden muss, ist: Wie funktioniert eigentlich Meinungsbildung? Hier muss man zunächst zwischen epistemischer und psychologischer Sicherheit bzgl. der eigenen Meinung unterscheiden. Die epistemische Sicherheit erlangt man durch belastbare wissenschaftliche Evidenz. Die psychologische Sicherheit ist dagegen ist der Glaube, etwas sicher zu wissen. Dass der Unterschied zwischen beiden eklatant ist, ist vielen Menschen leider nicht bewusst. Natürlich spielen individuelle Erfahrungen mit Wissenschaft eine große Rolle, aber von größerer Tragweite ist die mediale Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte.

Medienkompetenz in einer veränderten medialen Umgebung

Die Qualitätsmedien wurden zugunsten der sozialen Medien immer weiter verdrängt. Dies bringt den Effekt mit sich, dass mittlerweile auch Quellen wie z. B. Facebook, Youtube oder Messenger-Chatgruppen zur Informationssuche etabliert sind. Natürlich finden sich auch in sozialen Netzwerken qualitativ hochwertige wissenschaftliche Informationsquellen, jedoch sind diese vergleichsweise rar und treten fast immer in Form einer ergänzenden Funktion auf. Etablierte Institutionen oder WissenschaftlerInnen verbreiten Informationen auch aber nicht ausschließlich über Twitter oder Facebook. Es ersetzt ihre Publikationen in Fachjournalen nicht.

Sind Menschen also auf welchen Wegen auch immer zu Informationen gelangt, dann kann das ihr künftiges Handeln zu einer bestimmten Fragestellung beeinflussen (Decision Value), es kann ihr Handeln rechtfertigen (Reputational Value) und/oder die Informationen werden dazu genutzt andere zu überzeugen (Influence Value). Die Tragweite der gewonnen Informationen wurde während des zweiten Pandemiejahres 2021 insbesondere in der Impf-Frage sichtbar.

Leider ist der Weg Information suchen, Information beurteilen, Entscheidung treffen, handeln nicht so linear wie er scheint. Im zeitlichen Ablauf der Pandemie hat sich etwa ab Spätsommer 2020 eine relativ große Verunsicherung in der Bevölkerung bzgl. der Beurteilung der dargebotenen Informationen gezeigt.

Die Rolle der öffentlichen Debatte (insbesondere im Wahljahr 2021)

Im Vergleich zur Zeit des ersten Lockdowns, in der eigentlich nur eine einzige Information – „Vermeiden Sie Kontakte, bleiben Sie zu Hause“ – transportiert wurde, war die Situation mit Ausblick auf die kommende kalte Jahreszeit erheblich komplizierter zu erklären. Zwischen Fragestellungen des Lüftens, des Maske-Tragens, des Hände-Schüttelns, des Abstand-Haltens, und der gesamten Öffnungsdebatte haben viele Menschen ihr Vertrauen in die Kommunikation verloren und den Diskurs als ein Zer-reden empfunden. Wenn die Kommunikation nicht nachvollzogen werden kann, entsteht Verunsicherung.

Ein weiterer Punkt, der verunsichert, ist die sich ändernde Sachlage. Anfänglich wurde die Verdopplungszeit als Kennwert eingeführt, bei höheren Fallzahlen dann die Inzidenz und schließlich war der R-Wert das relevante Maß für die Infektionstätigkeit. Zusätzlich lieferte die Wissenschaft mit rasender Geschwindigkeit eine große Menge an Forschungsergebnissen, was das mediale Interesse weiter befeuerte. Im Monat März 2020 erschienen über 600.000 Meldungen zu den Schlüsselwörtern Corona, SARS-CoV-2 und COVID-19 in der deutschen Presse. Dazu zählen auch Falschmeldungen. Bereits im Sommer 2020 sprach die WHO von einer Infodemie als Bezeichnung für das Phänomen, dass sich Falschinformationen zu SARS-CoV-2 on- und offline schneller und weiter verbreiteten als evidenzbasiertes Wissen. Falschinformationen kursierten auch zum Umgang mit der Pandemie in anderen Ländern. Der sog. Schwedische Sonderweg wurde oft so dargestellt, als würde Schweden gänzlich auf Maßnahmen zur Eindämmung des Virus verzichten.

Die Rolle des Journalismus und die Notwendigkeit des Wissenschaftsjournalismus

Ein großes Problem in der Kommunikation während der gesamten Pandemie ist die spärliche Ausstattung der Redaktionen mit WissenschaftsjournalistInnen. 2017 betrug der Anteil am gesamten Journalismus 1–2 %. Übernehmen fachfremde Ressorts die Funktion von WissenschaftsjournalistInnen, birgt das ein hohes Potential an Fehlinformationen und falschen Einschätzungen. Im schlimmsten Fall werden Forschungsergebnisse falsch beurteilt. Wer die üblichen Methoden und Qualitätsstandards nicht kennt, der kann sich auch durch schlechte Forschung beeindrucken lassen. Es ist elementar wichtig, dass (Wissenschafts-) JournalistInnen die Reputation der WissenschaftlerInnen kennen und beurteilen können, ob Ergebnisse verlässlich sind. ExpertInnen sollten nach wissenschaftlichen Kriterien ausgewählt werden und nicht nach Sympathie oder medialer Wirkung.

Weiter ist es wichtig, dass Informationen klar und unmissverständlich, aber nicht zu stark vereinfacht transportiert werden. Eine zu vereinfachte Darstellung führt zu einem Easiness-Effekt, der bewirkt, dass Laien sich in der Beurteilung von Sachverhalten überschätzen, wenn diese zu stark vereinfach dargestellt werden. Eine ähnliche kognitive Verzerrung beschreibt der Dunning-Kruger-Effekt. Er drückt die Unfähigkeit aus, seine eigene Inkompetenz zu erkennen. Wie oft haben wir alle den Satz „Sind wir nicht alle kleine Virologen?“ gehört. Nein, sind wir eben nicht.

Als problematisch hat es sich auch immer wieder erwiesen, wenn zu wenig auf die Entwicklung der Informationslage eingegangen wurde. Weiten Teilen der Bevölkerung ist nicht klar, wie lange wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn dauert. Und nicht jeder Informations-Baustein sollte als breaking news präsentiert werden. Überhaupt ist das Verkürzen von Informationen problematisch zu sehen und wurde von WissenschaftlerInnen im Fokus der Öffentlichkeit immer wieder kritisiert. Auch beim Anstellen von Vergleichen ist Vorsicht geboten. Wer z. B. die Inzidenzen von verschiedenen Ländern miteinander vergleicht, sollte auch auf demographische Unterschiede und Gemeinsamkeiten hinweisen.

Um die Neutralität der Wissenschaft in der öffentlichen Wahrnehmung zu bewahren, ist es dringend angeraten, dem Wissenschaftsjournalismus seinen berechtigten Platz einzuräumen, denn die Pandemie ist nicht das letzte Problem mit engem wissenschaftlichem Bezug, was vor einer breiten Öffentlichkeit dargestellt und medial begleitet werden muss.


Literatur:

  1. M. Schäfer, How Changing Media Structures are Affecting Science News Coverage, The Oxford Handbook of the Science of Science Communication, Kapitel 4, Oxford University Press 2017.
  2. V. Stollorz, Herausforderungen für den Journalismus über Wissenschaft in der Coronapandemie – erste Beobachtungen zu einem Weltereignis, Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, 1: 70-76, 2021.
  3. G. Ruhrmann, D. Daube, Die Rolle der Medien in der COVID-19-Pandemie, Infektionen und Gesellschaft (Akademie der Wissenschaften in Hamburg, A. Lohse, Hrsg.), S. 119-134, 2021.