Chemie ist, wenn es knallt und stinkt

Weißkittlige Meschen in Laboren und Kolben gefüllt mit wabernden bunten Flüssigkeiten, Explosionen im Reagenzglas oder stinkender gelber Qualm – so wird Chemie oft dargestellt. Die meisten ChemikerInnen arbeiten jedoch gar nicht in Laboren. Was tun sie denn dann? Was erfinden oder entdecken sie und was hat die Welt der Atome und Moleküle mit unserem Alltag zu tun?

Chemie ist die Wissenschaft, die sich mit dem Aufbau, den Eigenschaften und den Reaktionen von Stoffen beschäftigt. Eine Naturwissenschaft also.

In der Chemie wird es erst spannend, wenn man genau hinsehen kann. Wenn man beobachten und messen kann und dann zu erklären versucht, warum die Dinge so sind wie sind. Warum Reaktionen ablaufen und wie. Warum manche Stoffe bestimmte Eigenschaften haben, wie z. B. Magnetismus oder Farbigkeit. Und was man damit machen könnte. Wie man diese Eigenschaften, wenn man sie endlich verstanden hat, vielleicht auch verändern könnte. Das hört sich einfach an, ist aber manchmal unendlich kompliziert.

Chemie in unserem Alltag

Es ist uns vielleicht nicht immer bewusst, aber Chemie begegnet uns in unserem Alltag ständig. Die Farbstoffe in Buntstiften wurden z. B. speziell so entwickelt, dass das Rot schön leuchtet und möglichst lange nicht verblasst. Der Wäscheweichspüler, der mit den Wollfasern deiner Kuschelsocken so wechselwirkt, dass sich die Oberfläche weich, aber nicht schmierig anfühlt oder die Babywindel, die bei nur etwa zehn Gramm Eigengewicht mehrere Hundert Milliliter Babyurin binden kann – das sind nur einige wenige Beispiele, die uns das Leben bunt und angenehm machen.

Hinter diesen Erfindungen steckt oft jahrelange Forschung. Manchmal läuft das ganz gezielt ab und ist speziell auf ein bestimmtes Produkt ausgerichtet. Im Falle des Superabsorbers, so nennt man das wasserbindende Material in der Babywindel, wussten die EntwicklerInnen wahrscheinlich ziemlich schnell, wozu man den Stoff mit dem sperrigen Namen Natriumpolyacrylat verwendet werden kann.

Wassermoleküle binden an der Oberfläche des Natriumacrylats.
Wassermoleküle (H2O) binden an der Oberfläche des Natriumacrylats.

Meist ist es aber so, dass eine neue Entdeckung das Ergebnis jahrelanger Grundlagenforschung ist. Die Entwicklung von kompostierbaren Kunststoffen, z. B. auf PLA-Basis (PLA ist ein sogenanntes Polymer aus Milchsäure) hat viele Jahre gedauert und es wird immer noch an der Entwicklung von neuen Stoffen gearbeitet. So hat der große deutsche Chemiekonzern BASF kürzlich einen abbaubaren Kunststoff vorgestellt, mit dem man Papier beschichten kann. Gute Neuigkeiten für das Verpackungsmüll-Problem!

Die neuen mRNA-Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 – die „Corona-Impfstoffe“ – basieren auf mehr als 30-jähriger Forschungserfahrung. Lediglich die Anwendung der Methode als Impfung ist neu.

ForscherInnen sind Teamplayer

In der naturwissenschaftlichen Forschung wird Stück für Stück wird wie bei einem Puzzle ein Teil nach dem anderen zu einem schlüssigen Gesamtbild zusammengefügt. Manche Ecken sind schnell zusammengesetzt, an anderen hängt und hängt man und es geht nicht voran. Seit einigen Jahrzehnten arbeiten ForscherInnen an Universitäten oder in der Industrie interdisziplinär zusammen. D. h. WissenschaftlerInnen aus verschiedenen Gebieten wie Physik, Chemie, Biologie, Medizin und Pharmazie erarbeiten Lösungen gemeinsam. Die Teilgebiete der Naturwissenschaften werden längst nicht mehr als voneinander getrennt betrachtet.

Die Arbeit im Reinraum oder am Supercomputer

So sind auch die großen Erfindungen, Entdeckungen und Entwicklungen nicht mehr einer Disziplin zuzuordnen. Bei der Entwicklung von Batterien, Akkus und Solarzellen sind PhysikerInnen, ChemikerInnen und KristallographInnen beteiligt. Ihre Arbeit findet hauptsächlich am Computer und manchmal im sogenannten Reinraum statt. Das ist ein spezielles Labor, in dem Temperatur, Luftdruck und Lichtverhältnisse konstant und staubfrei gehalten werden. Die Arbeit findet manchmal sogar in Schutzanzügen mit Atemluftschläuchen statt und ist sehr anstrengend.

Wissenschaftler in einen Reinraum mit gelber Beleuchtung
Wissenschaftler in einen Reinraum mit gelber Beleuchtung (Quelle: https://www.nasa.gov/multimedia/imagegallery/index.html)

Vor einigen Jahren wurde für die Entwicklung der blauen Leuchtdiode (die Abkürzung LED steht für den englischen Begriff Light Emitting Diode) ein Nobelpreis an Materialwissenschaftler vergeben. Auf die blauen LEDs, ohne die auch keine Leuchtdioden mit weißem Licht möglich wären, hatte man jahrzehntelang gewartet. Was heute in Lichterketten für ein paar Euro zu haben ist, hat vor weniger als zehn Jahren die Lehrmeinung revolutioniert und viele ExpertInnen zweifelten lange daran, ob man jemals blaue LEDs haben würde. Die Entwicklung hat viel mit dem Verständnis von Materialeigenschaften zu tun. In der Theorie wusste man ganz genau, wie so ein Stoff beschaffen sein muss, man konnte ihn nur eben lange nicht herstellen. Die Forschung findet auf diesem Teilgebiet hauptsächlich am Computer statt. Durch Modelle kann man berechnen, ob eine Verbindung oder ein System aus verschiedenen Stoffen für eine Anwendung in Frage kommt. Die Rechnungen dauern selbst auf leistungsfähigen Computern mehrere Tage.

Manchmal darf es doch noch die Handarbeit im Labor sein

Die Forschung und Entwicklung in den Bereichen Medizin und Pharmazie sind praxisorientierter. Um z. B. in der Antibiotika-Forschung bessere Wirkstoffe zu entwickeln, müssen sich die ForscherInnen schon selbst ins Labor stellen. Trotzdem werden hier nicht nur Synthese-ChemikerInnen gebraucht. Bis ein neues Medikament auf dem Markt ist, braucht es unter anderem die Mitarbeit von MedizinerInnen, BiologInnen und PharmakologInnen. Chemie ist also nicht immer bunt, laut und gefährlich. Aber das ist auch ganz gut so, denn weniger spannend wird dadurch nicht. Im Gegenteil: je genauer man hinsieht, umso mehr kann man staunen, wie vielfältig sie ist, unsere (chemische) Welt.